Neue Forschungen auf dem Gebiet der Psychopathia sexualis : eine medicinisch-psychologische Studie / von R. v. Krafft-Ebing.
- Richard von Krafft-Ebing
- Date:
- 1891
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Credit: Neue Forschungen auf dem Gebiet der Psychopathia sexualis : eine medicinisch-psychologische Studie / von R. v. Krafft-Ebing. Source: Wellcome Collection.
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![nicht unerwähnt lassen, dass auch die Form der Anrede von Bedeutung ist. Es ist ein Essentiale in meinen Vorstellungen, dass die „Herrin* mich mit „Du anredet, während ich dieselbe mit „Sie anreden muss. Dieser Umstand des Geduztwerdens von einer dazu geeigneten Person, als Ausdruck der absoluten Herrschaft, hat mir von früher Jugend an schon Wollustgefühle erregt und thut dies auch heute noch. Ich habe das Glück gehabt, eine Frau zu finden, welche mir in allen Punkten, vor allem auch in geschlechtlicher Beziehung, durchaus zusagte, ob- wohl dieselbe, wie ich nicht erst hinzuzufügen brauche, in keiner Weise maso- chistischen Idealen ähnelt. Dieselbe ist sanftmüthig, jedoch üppig, ohne welche Eigenschaft ich mir überhaupt einen geschlechtlichen Reiz nicht vorstellen kann. Die ersten Monate der Ehe verliefen geschlechtlich ganz normal, die masochistischen Anfälle blieben gänzlich aus, ich hatte beinahe das Verständnis? für den Masochismus verloren, da kam das erste Kindbett und hiermit die nothwendig gewordene Abstinenz. Pünktlich stellten sich sodann mit ein- tretender Libido die masochistischen Anwandlungen wieder ein. welche mit unabweisbarer Notwendigkeit einen ausserehelichen Coitus mit masochistischen Vorstellungen herbeiführten — trotz meiner aufrichtigen grossen Liebe zu meiner Frau. Bemerkenswert!] ist hierbei, dass der später wieder beginnende Coitus maritalis sich nicht als ausreichend erwies, um die masochistischen Vorstellungen zu bannen, wie das bei einem masochistischen Coitus regelmässig der Fall ist. Was das Wesen des Masochismus anbelangt, so bin ich der Ansicht, dass bei demselben die Vorstellungen, also die geistige Seite, Haupt- und Selbst- zweck sind. Alles, was sonst auf die Vorstellung folgt, sei es Onanie, sei es Coitus, sei es Verwirklichung der Ideen, ißt meiner Ansicht nach lediglich Wirkung, nicht aber Zweck. Denn wäre der Coitus oder die anderweitige Befriedigung der Zweck, so würde die Thatsache nicht in Einklang zu bringen sein, dass man die Be friedigung möglichst lange hinaus zu spielen bestrebt ist, weil man genau weiss, diiss mit der Befriedigung auch die Genüsse des Schwelgens in der Ideenwelt mit einem Schlage aufhören. Wäre ferner die Verwirklichung masochistischer Ideen (also die passive Flagellation u. dergl.) das ersehnte Ziel, so steht hiermit die Thatsache im Widerspruche, dass ein grosser Theil der Masochisten zur Verwirklichung ent- weder gar nicht schreitet, oder, wenn er dies dennoch versucht, eine grosse Ernüchterung empfindet, jedenfalls die ersehnte Befriedigung nicht erzielt. Also das Schwelgen selbst ist Hauptsache, und dieses bietet in der That einen unerhörten Genuss, welches den davon Befangenen über alles Aeusserliche. selbst Kummer und Sorgen, hinwegsetzt. Das Schönste dabei ist, dass der Phantasie keinerlei Schranken gesetzt sind, und dass man alle dazu gehörigen Verhältnisse als: Ort, Personen, deren äussere und innere Eigenschaften — ganz nach Wunsch und Bedürfniss ein- richten kann. Eine derartige Wirkung ist im realen Leben, auch unter den denkbar günstigsten Verhältnissen, nicht annähernd möglich, und deshalb muss jeder Versuch der Verwirklichung a priori als gescheitert angesehen werden. V. Krafft-Ebing, Neue Forsehungeu. 2. Aufl. 2](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21017190_0029.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)