Handbuch der pathologischen Anatomie / von Johann Friedrich Meckel.

Date:
1812-1818
    men M i s b i 1 d u n g en, und diese Benennung im- plicirt also die Vorstellung, dafs der Organismus, oder das respective Organ als solches gebildet sey, indem sich kein Grund findet, warum man sich aufserdem einer eignen Benennung bedient. Soll man daher die Entstehung der Ausbil- dungen auf di,e Fötusperiode einschränken? Auf den ersten Anblick scheint diese Frage durchaus bejahend beantwortet werden zu müssen, allein bei einer nähern Untersuchung allerdings Ein- schränkungen zu erleiden. "Wenn nämlich gleich die meisten reinen Formabweichungen, welche einer eignen Thätig- keit des Organismus ihre Entstehung verdanken, m die Periode des Embryolebens fallen , so gilt dies , doch für eine grofse Classe derselben, die, deren Wesen eine reine Vergrofserung ist, mit der gröbs- ten Bestimmtheit nicht. Sowohl jede Spccies, als jedes Alter hat, wiewohl in einem gewissen Umfange, ein gewisses iVJaafs für den Körper im Ganzen sowohl, als jedes Organ insbesondere, dem ein bestimmter Grad von Lebensenergie entspricht, der sich durch die Qualität und Quantität seiner Functionen äufsert. Nicht selten aber entwickelt sich der ganze Körper, oder ein einzelnes Or- gan, oder ein System von Organen, ungeach- tet nicht allein bei der Geburt der vollkommnc normale Zustand Statt fand, sondern, nachdem auch w ährend des ganzen vergangenen Lebens das Normal durchaus nicht überschritten wurde, plötzlich in einem so hohen Gradd, dafs die Grän- zen des Alters oder der Spccies bedeutend über- sprungen werden, [lieber gehören die Falle von frühzeitiger Keife, frühzeitigem Wachstbume des Körpers, bedeutender Grölsc desselben, und ein- zelner Organe. Dies sind offenbar Alisbddungcn,
    indem dasPriucip derselben, regellos vergröfserte Thätigkeit der Vegetationskräfte, oll'enbar dieselbe ist, sie mag vor oder nach der Geburt eiutreten. Will man sie Krankheiten nennen ? Allein sie selbst sind nicht sowohl Krankheiten, als die Pro- ducte derselben, und das Wesen dieser Krank- heit ist eben die zu sehr erhöhte Veg tations- kraft. Alle Misbildungen stehen, so wie alle Ue- generationen und alle Abweichungen irgend einer Art , mit einer Abweichung der Vegetaliouskraft von ihrer normalen Richtung in demselben Caus- saluexus. Selbst die Formabweichungen, welche ge- wöhnlich durch mechanische Einw irkung von au- fsen bewirkt werden, und bei d ren Entst hung das rcspective Organ sich mehr oder weniger nur leidend verhalt) ereignen sich doch bisweilen durch eigene Thätigkeit desselben, wie sich z. B. im Abschnitte von den Brüchen ergeben wird. Diese entstehen zwar im Allgemeinen durch me- chanische Einwirkung; allein nicht ganz seilen auch durch eigenmächtiges Hervordringeu eines Unterleibsorgans aus seiner Ilöhle. Welche Abweichungen von der gewöhnli- chen Form sind also in die Classe der ursprüngli- chen, oder der Misbildungen, Bilduugsfeliler, Feh- ler der Urbilduug zu setzen, welche nicht? Die Art der Formabweichuug alleiu scheint die Stelle zu bestimmen, die ihr angewiesen wer- den mufs. Es giebt einige, die sich nur ereignen kön- nen, wahrend der Organismus noch in der ersten Periode der Bildung begriffen ist, wo sich jedes Organ gestaltet, uud beinahe jede Form anuehmen kann. Hat es eiumal eine bestimmte Gestalt an- genommen, so kauu es sich zwar eigenmächtig ver-
    gröfsern, verkleinern, durch mechanische Ein- wirkungen mannichfaltig ahgeändert werden ; al- lein das Charakteristische der Form, welche es einmal in jener frühsten Periode angenommen hat, kann durch keinen Einflufs irgend einer Art wieder aufgehoben werden, indem kein neuer Bil- dungsprocefs eingeleitet werden kann, wodurch ein fehlender Theil ersetzt, eine versäumte Form nachgeholt, ein überschüssiger angebildet, eine regelwidrige Lage in eine regelmäfsige, oder um- gekehrt, diese in jene verwandelt würde. Diese Abweichungen von der normalen Form gehören zu den Misbildungen, den Fehlern der Uibildung. Andere giebt es dagegen, die sich in jeder Periode des Lebens ereignen können, weil ihr Wesen nicht mit der Entwickcluugsweise des Or- gans verwebt ist. Dahin gehören namentlich die Veränderungen der Masse einzelner Organe oder des ganzen Körpers, 'welche den Weg zu denen bahnen, die fast nur nach der Geburt entstehen, weil vor diesem Act die Bedingungen fehlen, wel- che mittelbar oder unmittelbar ihre Entstehung veranlassen. Dies sind namentlich die Verände- rungen des Zusammenhanges, der Lage der Or- gane, der Ortsverhältnisse der verschiedenen Theile eines Systems unter einander sowohl als desselben zu den benachbarten Organen. Alle diejenigen Bildungen daher, die mit der ersten Entstehung und der Entwickelungsweise des rcspeciiven Organismus oder Organs so genau ver- webt sind, dals sic sich nur in der frühsten Pe- riode des Embryolehens, oder wenigstens vor Ab- lauf aller der Perioden, welche ein bestimmtes Organ von dem Augenblick seines ersten Entste- hens an bis zu seiner vollendeten Entwickelung
    durchläuft, ereignen können, werde ich in diesem ersten Bande und dein ersten Theile des zweiten unter dem Namen der ursprünglichen Eisbildun- gen betrachten, und gehe daher zunächst zu der Angabe der merkwürdigsten allgemeinen Bedin- gungen dsrselbeu über. »
    7 i ' " ’ * **) 'i Erste Abtheilung. Von den ursprünglichen Bildungsfehlern. Allgemeine Betrachtung tler ursprünglichen Bildungs- fehler. Alle ursprüngliche Bildungsfehlcr kommen durch Frühzeitigkeit ihrer Entstehungsperiode mit ein- ander überein; unterscheiden sich aber von einander dem Grade nach, nach welchem sie mit verschiedenen Benennungen belegt werden. Mit dem Namen einer Monstrosität be- legt man dem Sprachgebrauch nach nur die sehr bedeutenden Abweichungen von der gewöhnli- chen Form. Monstri vox, sagt Haller0), ex ipso, lin- gucie natura videlur designare aherrationem ani- malis a consueta suae speciei fabrica adeo evi- dentem^ ut etiam ignarorum oculos feriat. No- bis vis vocis perinde vületur indicare /abricamy etiam grandium et conspicuarum partium, alie- nam a solita. Wenn der Bildungstrieb, sagt Blumen* Lach00), nicht blos eine fremdartige, sondern *) De monstris. in opp. minor. t. ITT. p. 3* 4- **) Ueber den Bildungstricl). S. III.