Die Staatsheilkunde im Lichte der Geschichte : ...neue Ausgabe des Schlusstheils [i.e. des 6ten buchs] seiner Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften / vom Gehermerath, Ritter und Professor Dr Emil Isensee.
- Isensee, Emil, 1807-1845
- Date:
- 1862
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Credit: Die Staatsheilkunde im Lichte der Geschichte : ...neue Ausgabe des Schlusstheils [i.e. des 6ten buchs] seiner Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften / vom Gehermerath, Ritter und Professor Dr Emil Isensee. Source: Wellcome Collection.
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![Ziehung unglücklicher Geisteskranker die Leichtgläubigkeit der Völ- ker ausgebeutet. Wahnwitzige, Dummköpfe, Blödsinnige, wie Gott- gesandte betrachtet und verehrt, wurden von Priestern, welche auf die Leichtgläubigkeit und Unterwürfigkeit der Menschen ihre Pläne bauten, benutzt, um bloss zu jener Pfaffen Vortheil Orakelsprüche zu ertheilen. Um die Priesterwürde und die damit verbundenen Vortheile zu erlangen, war es oft schon genügend, mit Krämpfen oder Wahnsinn behaftet zu sein, oder auch nur verstellter Weise diese Zustände anzunehmen. Die hysterischen, von Starrsucht, Melancholie oder Epilepsie befallenen Frauen wurden vorzugsweise gern ausersehen: ihre leicht bewegliche und fiir alle Eindrücke empfängliche Einbildungskraft machte sie vorzüglich geeignet, diejenigen Eindrücke aufzunehmen, welche ihnen beizubringen im Interesse des Priesters lag. Auch noch in unserer Zeit suchen die Magnetiseurs bei ihren Som- nambulen ähnliche Zustände zu erregen, um Wunder zu erhalten, die geeignet sind, den, Wunderbares liebenden, Frauen zu imponiren. Zu allen Zeiten sind wohl dieselben Wirkungen Erzeugnisse der- selben Ursachen gewesen, und die nämlichen Ursachen haben die- selben Wirkungen hervorgebracht. Je schwächer und empfind- licher das Nervensystem des Weibes, auf welches man mit den stärksten Erschütterungen eingestürmt hatte, in den soeben an- gegebenen patho - physiologischen Zuständen geworden war, um so schmiegsamer und gelehriger wurde das Weib für das listige Verfahren des Fanatismus, das man für nothwendig hielt, um ihm Vertrauen einzuflüssen, seinen Aberglauben zu unterhalten und zu nähren. Im Alterthume sind beinahe alle Orakelsprüche durch Frauen ertheilt worden. Auch das berühmteste von allen, das Del- phische war hiervon nicht ausgenommen. Die delphische Pythia wurde gewöhnlich unter den armen Mädchen ohne Erziehung und Erfahrung, von unschuldigen Sitten und beschränktem Geiste, ausge- wählt. [S. Barth elemy, Reise des An acharsi s, Kap. 22 nach Plutarch De pyth. Orac.] Traurig, niedergeschlagen, abgespannt von Ermüdung, von den sie umgebenden Priestern bedroht und ge- foltert, setzte sich die unglückliche Person endlich auf den heiligen Dreifuss. Mit aufgetriebener Brust, bleichem Gesicht, zitternden Gliedern, stiess sie Klagegeschrei aus, seufzte und stöhnte. Während sie nicht lange darauf mit funkelndem Auge, schäu- mendem Munde, emporsträubendem Haar weder den sie quälenden Beängstigungen widerstehen, noch vom Dreifuss, auf welchem man sie zurückhielt, sich erheben konnte; stiess sie unter dem schreck- lichsten Heulen einige unzusammenhängende Worte aus, welche die Priester aufgriffen und denen sie sogleich einen ihnen zusagen- den Sinn unter zu legen sich bemühten und beeilten. [S. Barthe- lemy 1. c. nach Lucan, Pharsalus, Buch 5. Von Dale de orac.] Arme Menschheit! Jenes schreckliche Verfahren hat mehrere dieser armen Geschöpfe das Leben gekostet, wie Plutarch de](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b24757329_0140.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)