Über Psychologie der individuellen Differenzen : Ideen zu einer "Differentiellen Psychologie" / von L. William Stern.
- William Stern
- Date:
- 1900
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Credit: Über Psychologie der individuellen Differenzen : Ideen zu einer "Differentiellen Psychologie" / von L. William Stern. Source: Wellcome Collection.
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![renziierung in jedem einzelnen Fall bequem hervorspringen zu lassen — und da sollen die 10 oder 20 Prüfungen jener 1% Stun- den als gültige Reagentien angesehen werden ? Ganz zu schweigen davon, dass die zufällige, geistige und körperliche Konstitution des Examinanden am Versuchstage, seine Befangenheit u. s. w. uns völlig im Unklaren darüber lässt, wieweit die Ergebnisse auf seine wirkliche Individualität, wieweit sie auf variable Umstände zu beziehen sind. In welchem Maasse solche Vorschläge von Prüfungsserien zur Zeit noch im Dunkeln tappen, geht zur Genüge daraus hervor,, dass die einzelnen, bisher veröffentlichten Entwürfe gewaltig von einander ab weichen. Am mannigfaltigsten ist das Programm von Binet und Henri1); sie wollen in jenen 1% Stunden untersuchen: 1. Ge- dächtnis, 2. Natur der Vorstellungsbilder, 3. Einbildungskraft, 4. Aufmerksamkeit, 5. Auffassungsfähigkeit, 6. Suggestibilität,. 7. ästhetisches Gefühl, 8. moralische Gefühle, 9. Muskelkraft und Willenskraft, 10. Geschicklichkeit und Blick. Es fehlt merkwür- digerweise ganz das Empfindungsleben, was Binet und Henri mit dem an sich richtigen Satze begründen, dass die psychischen Differenzen um so bedeutender und deshalb leichter erkennbar seien, je höher die seelischen Funktionen stehen; bei Empfindungen seien sie am kleinsten, bei den zur Prüfung vorgeschlagenen am deutlichsten, und deswegen komme man hier auch mit relativ groben und einfachen Versuchsbedingungen aus. An den früheren Vorschlägen zu mental tests tadeln Binet und Henri die zu ausschliess- liche Berücksichtigung der sensoriellen Seite des Seelenlebens; und sie haben darin Recht, dass jene noch viel weniger als die ihrigen das gesamte Feld individueller Eigenart abstecken. Sieht man aber von diesem hohen, indes zur Zeit ganz unerreichbaren Ziel ab, so scheinen die einseitigeren und spezielleren Prüfungs- reihen immerhin noch brauchbarer zu sein, als die gar zu viel- gestaltige Serie Binet-Henri’s.2) Freilich, viel ist auch von ihnen nicht zu erwarten. 9 [60 S. 435]. 2) Der erste Versuch zu einer teilweisen Durchführung der Binet-Henri- schen tests ist neuerdings von Emily Sharp [81] gemacht worden. Obgleich](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b28059682_0048.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)