Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes : zwei Vorträge, gehalten in der Gesamtsitzung der naturwissenschaftlichen und der medizinischen Hauptgruppe der 84. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Münster i.W. am 19. September 1912 / von C. Correns und R. Goldschmidt.
- Carl Correns
- Date:
- 1913
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Credit: Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes : zwei Vorträge, gehalten in der Gesamtsitzung der naturwissenschaftlichen und der medizinischen Hauptgruppe der 84. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Münster i.W. am 19. September 1912 / von C. Correns und R. Goldschmidt. Source: Wellcome Collection.
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![— 132 — bald geschlechtsbegrenzt vererbt wird, und zwar nach verschiede¬ nen Typen, bald einfach mendelt. Ein solcher Fall wäre natürlich höchst beweisend für die Richtigkeit der Verbindung der Chromo¬ somenlehre mit der Bastardforschung. Ich bin mit der Aus¬ arbeitung eines solchen beschäftigt, und es lassen sich auch bereits aus der Literatur einige festlegen, wie ich demnächst an anderer Stelle ausführen werde. So zeigt die Verbindung von Chromo¬ somenlehre mit Mendelforschung schon jetzt noch manche frucht¬ bare Möglichkeit auf. Doch das führt bereits zu den intimsten Dingen dieses Forschungsgebietes, die noch nicht vor das Forum der Allgemeinheit gehören. Kehren wir nun wieder zur geschlechtsbegrenzten Vererbung und zu einem weiteren Typus zurück. i>er Typus der Es ist der, als dessen charakteristische Beispiele Farbenblindheit, Vererbung der Farbenblindheit und der Haemophilie betrachtet werden. Ihr Charakteristikum ist, daß neben der ge¬ schlechtsbegrenzten Vererbung die Erscheinung auftritt, daß die be¬ treffende Eigenschaft in einem Geschlecht dominiert, im anderen rezessivist. Der farbenblinde Mann hat normale Nachkommenschaft; die Söhne sind wirklich normal, die Töchter aber tragen rezessive Farbenblindheit. Diese ist also beim männlichen Geschlecht „domi¬ nant, beim weiblichen rezessiv. Die Söhne einer solchen heterozy¬ goten Tochter mit einem normalen Mann erzeugt, sind wieder zur Hälfte farbenblind. Die mendelistische Interpretation dieser Fälle ist in verschiedener Weise gegeben worden und man hat sie auch auf die Chromosomenlehre übertragen, die in der Tat die einfachste Erklärung liefert. Beim Menschen ist wie bei Drosophila das männliche das digametische Geschlecht, wie auch zytologisch in beiden Fällen nachgewiesen ist [Stevens bei Drosophila, Guyer beim Menschen^)]. Wenn diese Mutation, die die Krankheit ver¬ ursacht, rezessiv ist und im X-Chromosom ihren Sitz hat, so er¬ gibt sich ohne weiteres das beobachtete Schema ihrer Vererbung. Stevens, N. M., A study of the germ cells of certain Diptera, Jonrn. exp. Zool. 5, 1908. Guyer, M. F., Accessory chromosomes in Man, Biol. Bull. 19, 1910. Dem wird widersprochen von Gutherz, L., Über ein bemerkenswertes Strukturelement (Heterochromosom) in der Spermiogenese des Menschen, Arch, mikr. An. 79, 1912. Winiwarter findet dagegen wieder ein Heterochromosom, kommt aber anstatt der Zahlen 23 und 24 zu den Chromosomenzahlen 47 und 48. Der Fall des Menschen bleibt somit noch unklar. Winiwarter, H. van, Etudes sur la Spermatogenese humaine, Arch, de Biol. 97, 1912.](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b18022947_0155.JP2/full/800%2C/0/default.jpg)