Gehirn und seele : Vortrag gehalten bei der 66, versammlung deutscher naturforscher und ärzte in Wien am 26. september 1894 / von August Forel.

  • Forel, Auguste, 1848-1931.
Date:
1894
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Credit: Gehirn und seele : Vortrag gehalten bei der 66, versammlung deutscher naturforscher und ärzte in Wien am 26. september 1894 / von August Forel. Source: Wellcome Collection.

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    2. iJie Thatsache, dass sehr eoiiijilicirte, ererbte Automatismen (In- stincte) mit sehr wenig Nervenelementen erzielt werden können, während nur bedeutende (iehirnmassen eine bedeutendere indi- viduelle plastische Neurokymthiitigkeit erlauben. ]Man denke nur an die complicirten Instincte der Ameisen, bei ihrem zwar relativ sehr i;ro.ssen, jedoch absolut winzit;en Gehirn, Man ver- gleiche die plastischere Hirnthätigkeit der Krähe mit derjenigen des eher grösseren Huhnes und bemerke, dass das Krähen- grosshirn bedeutend grösser ist als das Hirn des Huhnes. Die Körpergrösse erfordert natürlich auch an sich viele Gehirnele- mente und muss annähernd gleich sein, um solche Vergleichungen zu ei'lauben. Fügen wir noch hinzu, dass auch viele plastische Eigenschatten scheinbar ganz der Neurokymthätigkeit erblich sind, jedoch nur als An- lagen , die das Individuum entwickelt und bethätigt oder nicht ent- wickelt und nicht bethätigt, je nach den Umständen. allen Details. Ich frage nun: Ist es ein viel grösseres Käthsel, anzunehmen, dass Urkeime die Potenz besitzen, sich im Lauf der phylogenetischen Entwicklung der Jahrtausende in unzählige, aufs Complicirteste, der Form und Function nach, differenzirte Wesen zu entwickeln? Mit dem biogenetischen Gesetz Haeckers: „die Ontogenie ist eine abgekürzte Recapitulation der Phylogenie, ist, selbst wenn es ganz richtig sein sollte, nichts gegen das Gesagte bewiesen. Selbst -wenn die Ursache der Ontogenie des Individuums in den Factorcn der Entwicklung seiner Ahnenreihe liegt, so wird dadurch nur eine Theil- erscheinung, nicht aber die Grundursache der fortsclireitenden Diversification der Form und Function in der Evolution der organischen Welt erklärt. Man verwechselt hier leicht zwei Dinge: die räthselhafte Thatsache der Potenzen selbst und die Gesetze, durch welche sie zur Forraentwicklung ge- langen oder nicht gelangen. Letztere allein sind es, die wir in unseren phylogenetischen und ontogenetischen Forschungen ermitteln. Deshalb muss man den Ausdruck Haeckers „Sch;)pfuugsgeschichte cum grano salis nehmen. Die Factoren, die eine Form zu Stande bringen, sind keine Schöpfer. Natur- züchtung, Temperatur, Ernährung, chemische Einwirkungen sind alle Fac- toren der organischen Formen- und Functionenentwicklung. Dieselben lesen aber offenbar nur unter den Potenzen aus, hemmen die einen, fördern die anderen, tödten sehr viele. Als tiefere Causalität jedoch befindet sich ein noch absolut rätbselhafter Trieb zur EntAvicklung, ein „diversior et excel- sior, dem die Naturwissenschaft noch in keiner Weise beigekommen ist. Letztere hat auf Gnind ihrer Kenntnisse das Recht, wohl den mit allen Natur- gesetzen und Erfahrungen der Forschung in Widerspruch stehenden, persönlich eingreifenden Dens ex machina, nicht aber den Dens in natura zu leugnen. In den als Plasticität, Phantasie, Freiheit, Wille etc. zu Tage tretenden Erscheinungen dürfte sich em Ausdruck der Fortentwicklung dieser Urpotenz finden. Zweifellos haben auch diese Erscheinungen, und nicht nur die deutlicher bedingten Automatismen, ihre Ursache und ihre Gesetze, und ich muss mich von vorne herein hier gegen dualistische Missdeutungen ver- wahren; aber ihre scheinbare Regellosigkeit lässt uns keine Gesetze erkennen.