Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik.
- Lehmann, Alfr.
- Date:
- 1892
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Credit: Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik. Source: Wellcome Collection.
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![wenn man glcichzeitig Zahnweh hatte, als wenn man vollstandig- normal ist. Im Gegenteil, ein solcher Sclimerz wird die Auf- merksamkeit ablenken und somit den ruhigen Genufs unmdglicli machen. Ein gewandter Schachspieler, der dariiber argerlicli wird, dafs er eine Partie an jemand verliert, dem er iiberlegen zii sein glaubte, kann nicht sonderlich affiziert werden, wenn er im Wettlaufen seinen Meister findet. Zwischen so verscliiedenen Vorstellungen ist kein Kontrast moglich. Ein gutes Gemalde kann durch den Vergleich mit einem weniger guten gewinnen, aber nicht mit schlechter Musik kontrastieren. Rein ausnahmsweise kann etwas Derartiges indes anscheinend stattfinden, und da ein solcher Fall recht erlauternd ist, wollen wir einen Augenblick bei dem- selben verweilen. — Wir denken uns einen musikliebenden Mann an seiner Arbeit sitzend, Nacli und nach fangt die aufwachsende weibliche Jugend der ganzen Nachbarschaft an, das Klavier mit Tonleitern, Laufen und anderen musikalischen Ubungen, die nicht eben auf einen Genufs berechnet sind, zu bearbeiten. Eine Zeitlang kampft der Studierende mit der Energie der Verzweiflung, um die Gedanken bei der Arbeit zu halten; die Stellung wird jedoch unhaltbar, und zuletzt gibt er dieselbe auf und geht in eine Gemaldeausstellung, um sich dort die Zeit zu vertreiben. Sein Genufs der einzelnen Kunstwerke wird nun anscheinend durch die schlechte Musik beeinflufst werden konnen, die ihn aus dem Hause vertrieb, und zwar in doppelter Richtung. Entweder kann er mimlich in eine so unzufriedene Stimmung, „schlechte Laune, gekommen sein, weil er das Arbeiten auf- geben mufste, dafs er gar nicht zu geniefsen vermag^). Oder auch kann der Ubergang aus der vorigen Unruhe in die gegen- wartige friedliche und ungestorte Betrachtung bewirken, dafs er die Kunstwerke weit intensiver geniefst, als dies unter anderen vorausgehenden Umstanden der Fall gewesen ware. Bei rein oberflachlicher Betrachtung konnte man freilich sagen, hier sei ein Kontrast zwischen Malerei und Musik, es ist aber leicht zu sehen, dafs es nicht das einzelne Kunstwerk ist, dessen Wert durch einen Vergleich mit der schlechten Musik erhoht wird, sondern dafs es die Situation als Totalitat, der angenehme Friede und Kunstgenufs ist, die mit der vorigen Situation, den Storungen und den nichts weniger als ansprechenden Fingeriibungen ^) tiber dieses eigentiimlichc Verhaltnis Niiheres unten [293 uiid 345].](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21272256_0218.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)