Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik.
- Lehmann, Alfr.
- Date:
- 1892
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Credit: Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik. Source: Wellcome Collection.
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![wiclrigenfalls statt mit den vorkommenclen Unlustgefuhlen versOhnt zii werden diese starker fulilen wiirden. 282. Die Giiltigkeit und die grofse Bedeutung des Versohnungsgesetzes treten in Dichterwerken aller moglichen Gattungen am deutlichsten hervor. In der sogenannten roman- tischen Schule, die es als die wesentlichste, alle anderen Zwecke liberragende Aufgabe der Dichtkunst betraclitete, eine gewisse Siimme asthetischer Lust im Leser zu erzeugen, finden wir deshalb in zahllosen Werken eine Gefuhlsbewegung, die als Totalitat in positiver Richtung geht. Das in friiherer Zeit so allgemein angewandte „Rezept fiir Novellen und Lustspiele ist ja gerade folgendes. Das Verhaltnis zwischen dem Helden und der Heldin wird immer verwickelter, so dafs die Wahrscheinlichkeit, dafs sie „sich kriegen, immer geringer wird. Durch die Schil- derung dieser Verwickelungen sucht man unser Interesse und unsere Sympathie fiir die Personen zu vermehren, so dafs auch die Unlust wegen ihrer immer grofseren Entfernung voneinander bestandig wachst. Die Spannung erreicht zuletzt einen Gipfel, der Knoten wird gelost und durch die Vereinigung der Liebenden werden wir mit ihren frliheren Widerwartigkeiten versohnt. „Ende gut, alles gut. Wie man sieht, entsprechen die Be- wegungen der Gefuhle hier der oben erwahnten Form, in welcher eine Reihe Unlustgeftihle in negativer Richtung aufeinander folgen, wodurch dann wieder eine abschliefsende Lust mittels Kontrastes so erhoht wird, dafs das gesamte Resultat iiberwiegende Lust wird. — Man konnte freib'ch zu der Annahme geneigt sein, dafs das Ziel, wenn es die Erzeugung der moglichst grofsen Summe von Lust ist, am leichtesten zu erreichen sein miisse, wenn Unlustgeftihle vollig ausgeschlossen wiirden. Dies ist jedoch nur innerhalb sehr enger Grenzen moglich; denn wenn nur mit lustbetonten Vorstellungen operiert wird, so wird das Gefiihl schnell abgestumpft, was hier wohl zuniichst heifsen will, dafs fremde, unlustbetonte Vorstellungen entstehen, die um so starker werden, je langer die urspriingliche Lust andauert, so dafs sie den Genufs zuletzt unmoglich machen. Ohne spateren Unter- suchungen [310—311] vorzugreifen, konnen wir das Entstehen dieser Gefiihle hier nicht im einzelnen erkliiren; es ist indes leicht zu ersehen, dafs, wenn menschliche Verhaltnisse als unbedingt gliicklich geschildert werden, im Leser leicht die wohl- begriindete Furcht entsteht, dieses Gliick werde nicht fortdaucrn.](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21272256_0230.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)