Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik.
- Lehmann, Alfr.
- Date:
- 1892
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Credit: Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik. Source: Wellcome Collection.
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![354. Eine tvirhlicJie Versdiiehimg eines Gefuhls findet schwerlich in den Fallen siati, in ivelchen das ursprunglich nur als Mitiel zur Erreichimg eines hestimmten Zweclces Erstrehte wdhrend der Arbeit selbst Zwech tvird. Da jede gelungene Arbeit ihre besondere Lust erzeugt, tvird ein solches Gefuhl, wenn es hinlanglich stark iind andauernd wird, das vorige verdrimgen Jcdnnen. Dieses Ver- hultnis ist also nur ein spezieUer Fall des allgemeinen Geseizes, dafs ein starles Gefuhl die Aufmerhsamheit von den schwdcheren ablenU und somit im Bewufstsein alleinJierrschend wird [286]. 355. Ein vvenig anclers stellt sich die Sache in einer um- fassenden Griippe von Fallen, die fiir die Entwickelung des Gefiihlslebens von grofster Bedeutung sind, iiberall da namlich, wo an Abstraktionen oder Gemeinvorstellungen Gefiihlstone ge- bunden sind. Wenn jemand „Hunde liebt, so sind es natiirlich nicht Hunde im allgemeinen, als Gattung betrachtet, die seine Gefiihle urspriinglich in Bewegung setzten, da die Hundegattung als solehe ja nirgends existiert. Was ihm anfanglich Freude verschaffte, sind eine gewisse Anzahl wirklich existierender Exemplare der Gattung; dieses Gefiihl ist aber allmahlich anscheinend auf das Wort Hund verschoben, mit demselben verbunden worden, so dafs dieses nicht genannt werden kann, ohne eine starkere oder schwachere Lust zu erregen. Ebenso verhalt es sich mit der Liebe zur Wissenschaft, zum Vaterland u. s. w. Die Wissenschaft als Totalitat hat nie einem Menschen Freude verschafft, das konnen nur die einzelnen wissenschaftlichen Probleme, und das Vaterland als Inbegriff der Sprache, Geschichte, der Menschen, der Natur und Kultur existiert gewissermafsen ja gar nicht als Objekt menschlicher Gefiihle. Wenn das Wort nichtsdestovveniger schon durch das Genanntwerden allein leb- hafte Begeisterung zu ervvecken vermag, so mufs also eine Art Verschiebung des Gefiihlstones von den vielen konkreten, lust- betonten Vorstellungen, welche dieses Wort umfafst, auf den Namen selbst vorgegangen sein. Die Frage wird also die: wie kann eine solche scheinbare Verschiebung der Gefiihlstone von einzelnen, konkreten, lust- oder unlustbetonten Vorstellungen auf eine Gemeinvorstellung stattfinden? Soweit ich zu sehen vermag, lafst auch diese Erscheinung sich, ohne dafs man eine neue Annahme aufzustellen brauchte, aus bekannten Gesetzen der Vorstellungsassociation in Verbindung mit den Gesetzen des Zusammenwirkens der Gefiihle erkliiren. Lehmann, Die GefUhle. 18](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21272256_0295.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)