Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik.
- Lehmann, Alfr.
- Date:
- 1892
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Credit: Die Hauptgesetze des menschlichen Gefuhls-lebens : eine experimentelle und analytische Untersuchung uber die natur und das Auf-treten der Gefuhlszustande nebst einen Beitrage zu deren Systematik. Source: Wellcome Collection.
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![scheint, verrat sich noch die Spannung durch konvulsivische Bewegungen; der Ertrinkende greift nach dem Strohhaliu. — Ebenso wieHoffnung undFurcht in dem mehr neutralen Ubergangs- gliede, in der Erwartung, zusammentreffen, ebenso kOnnen sie auch in einem Zustande labilen Gleicligewiohts, dem Zweifel, zusammentreffen, in welchem die beiden Affekte fortwalirend abwechseln. Von den verschiedenen Symptomen bleibt hier eigentlich weiter niclits Konstantes zuriick als die Spannung, das Bediirfnis der Bewegung, die verzehrende Unrulie des Zweifels. 397. Zorn entsteht, wenn ein Streben ein Hindernis antrifft, das dem Individuum als ein nicht - naturnotwendiges erscheint und deshalb als gerade um dessen Streben zu hemmen vorsatz- lich aufgestellt betrachtet wird. Als spezieller Fall kann die Beleidigung aufgefafst werden, die allerdings keine einzelne bestimmte Bestrebung hemmt, jedoch das Selbstgefiihl oder Selbstvertrauen, auf welches alles bewufste Streben sich griindet, anzugreifen und niederzudriicken sucht. Die physiologischen Aufserungen des Zornes lassen sich [138—139] auf eine erhohte und inkoordinierte Innervation der willkiirlichen Muskeln nebst einer Gefafsverengerung an der Obei*flache des Korpers und moglicherweise auch im Inneren zuriickfuhren. Wahrend der ersten Lebenszeit des Kindes kann man nicht erwarten, Zorn bei demselben wahrzunehmen, well sein Vorstellungs- und Gefuhlsleben noch erst so schwach entwickelt sind, dafs es keinem bestimmten Ziel bewufst zustreben kann. Erst wenn eine grofsere Vorstellungsmasse und gewisse Beherrschung der Muskeln erlangt sind, wird eigentliches Wollen und mithin auch Zorn moglich. Und fur die Entwickelung des Affekts bezeichnend ist es, dafs die ersten Zornesaufserungen des Kindes sich zeigen, nicht wenn man es an etwas Gewolltem verhindert, sondern wenn man es zu etwas Nichtgewolltem zwingt. Entfernt man einen Gegenstand, den das Kind zu ergreifen wiinscht, kann es zwar zu weinen anfangen und alle Zeichen der Uniust kund- geben, zu einem Zornesausbruch kommt es jedoch nicht. Will man dagegen z. B. das Kind wider seinen Willen zu Bette legen, so schreit es laut, striiubt sich und streckt sich starr aus (von Preyer zum erstenmal im 10. Monate beobachtet) [P. 288]. In dieser seiner primitivsten Form ist der Zorn offenbar nur bewufster Widerstand gegen aufseren Zwang; dieses Verhaltnis](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21272256_0338.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)