Volume 1
Grundzüge der physiologischen Psychologie / von Wilhelm Wundt.
- Wilhelm Wundt
- Date:
- 1893
Licence: Public Domain Mark
Credit: Grundzüge der physiologischen Psychologie / von Wilhelm Wundt. Source: Wellcome Collection.
Provider: This material has been provided by King’s College London. The original may be consulted at King’s College London.
119/624 (page 101)
![genähert sein, welche in functioneller Verbindung stehen. Diese letztere geht nun zwar häufig, aber durchaus nicht überall mit der räumlichen Ausbreitung zusammen. So vereinigen sich z. B. die Beuger des Ober- und Unterschenkels zu geraeinsamer Action: jene liegen aber an der Vorder-, diese an der Hinterseite des Gliedes und empfangen daher aus verschiedenen Nervenstämmen, jene vom Schenkel-, diese vom Hüftnerven, ihre Fäden. Haben nun die Nerven für die Beuger der ganzen Extre- mität einen benachbarten Ursprung, so müssen sie im Ilüftgeflecht in jene nach verschiedenen Richtungen abgehenden Stämme sich ordnen. Wahr- scheinlich kommt den einfacheren Verbindungen der Wurzelpaare mehr die ergänzende, den complicirteren Plexusbildungen mehr die compen- sirende Bedeutung zu. Da die motorische Wurzel in die vordere, die sensible in die hintere Hälfte des Rückenmarks sich einsenkt, so liegt die Vermuthung nahe, dass im Innern dieses Centraiorgans die Leitungsbahnen in der nämlichen Ord- nung gesondert nach oben laufen. In der That wird dies im allgemeinen durch die physiologische Erfahrung bestätigt. Zugleich ergibt aber die letz- tere, dass schon im Rückenmark die einzelnen Fasersysteme sich mannig- fach durchflechten. So zeigen die Erfolge der Trennung einer Markhälfte, dass nicht alle Leitungsbahnen auf der nämlichen Seite verbleiben, auf welcher die Nervenwurzeln in das Mark eintreten, sondern dass ein Theil derselben innerhalb des Rückenmarks von der rechten in die linke Hälfte übertritt und umgekehrt. Allerdings sind die Angaben verschiedener Be- obachter über Art und Umfang der nach halbseitigen Durchschneidungen eintretenden Leitungsstörungen nicht völlig tibereinstimmend ^] ; auch bestehen offenbar nicht bei allen Thierclassen gleichförmige Verhältnisse. Sowohl die Versuche an Thieren wie pathologische Beobachtungen am Menschen gestatten aber keinen Zweifel, dass mindestens die sensorischen Fasern stets eine theil weise Kreuzung erfahren, da nach Trennung der einen Markhälfte auf keiner Körperseite eine vollständige Lähmung der Empfindung eintritt Variabler scheinen sich in dieser Beziehung die motorischen Bahnen zu verhalten. Während die Versuche an Thieren ebenfalls auf eine partielle [Kreuzung hinweisen, wobei aber immerhin die Mehrzahl der Fasern auf der gleichen Seite verbleibt '^), pflegt man aus pathologischen Beobachtungen zu schließen, dass im 4) Zur Geschichte dieser Controverse vergi. v. Bezold , Ztschr. f. wiss. Zoologie, IX, S. 307. 2) Schiff, Physiologie, I, S. 233. 3) BROwN-SfeQUARD, Lectures p. 48. VutPiAN, Legons sur la Physiologie du Systeme nerveux. Paris 1866, p. 385. Osann, Die Leitungsbahnen im R.-M. des Hundes. Straß- burg 1882.](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21293788_0001_0119.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)