Volume 1
Lehrbuch der Anatomie des Menschen / von C. Gegenbaur.
- Carl Gegenbaur
- Date:
- 1899
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Credit: Lehrbuch der Anatomie des Menschen / von C. Gegenbaur. Source: Wellcome Collection.
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![sie selbst wieder Bedeutung empfing. So musste auch die Organisation des Men- schen in einem neuen Lichte erscheinen. Aber man begann die Anthropotomie immer mehr als etwas ganz Unabhängiges der vergleichenden Anatomie gegenüber zu stellen, und dadurch ging der Vortheil verloren, der der ersteren aus letzterer zufloss. Die vergleichende Anatomie gewann allmählich nicht blos in Frankreich, wo eine Reihe von Männern, zum Theile aus Cu vier s Schule, zum Theile im Gegen- sätze zu derselben (Etienne Geoffroy St. Hilaire] dem Zusammenhängen der Organisation nachging, große Bedeutung. Auch in Deutschland, wo Goethe sein Interesse jener Forschung zugewendet und es durch eigene Versuche glänzend bethätigt, sowie durch die vergleichende Betrachtung das Verständnis der Form- erscheinung in der Morphologie begründet hatte, entfaltete sich bald reger Eifer iiir die vergleichende Anatomie. Unter Vielen, die auf diesem Arbeitsfeld thätig siud, ragt besonders Joh. Friedr. Meckel d. J. durch sein großes Handbuch hervor, sowie in England etwas später Richard Owen (1804—1892). Von einer anderen Seite drängte die geistig bewegte Zeit nicht minder zu Neugestaltungen, welche auch die Anatomie erfassen mussten. Es galt den früheren Zustäuden des Organismus und der Frage, wie er sich bilde. In dem laugen Streite zwischen den »Animalculisten«, welche den Körper aus den »Samen- thierchen« hervorgehen ließen, und den »Ovisten«, welche im Eie den Ausgangs- punkt sich dachten, blieb für beide Parteien das Gemeinsame, dass sie den Körper präformirt annahmeu. In dem einen oder dem anderen Substrate sollte er bereits vollständig bestehen und als solcher wieder für künftige Generationen ähnlich ein- geschachtelte Zustände umschließen. Der Vorgang, durch den der eingeschachtelte Körper zur Wahrnehmung kam, bildete die »Evolution«, Auswickelung. Dieser Evolutionstheorie trat 1759 Caspar Friedrich Wolff (geb. 1733 zu Berlin, Akademiker in Petersburg, f 1794) mit seiner »Theoria generationis« entgegen, in welcher er zeigte, dass die ersten Zustände des Körpers ganz andere als die späteren seieu, dass Umgestaltungen und Neubildungen die Bahn des allmählichen Werdens bezeichueten. Diesen Vorgang nannte er richtiger Epigeuesis. Blieb auch diesem bedeutsamen Fortschritte die Anerkennung der Zeitgenossen versagt, nachdem Haller, der an der Spitze der Evolutionisten stand, mit »nulla est epi- genesis« das Verdikt über ihn gesprochen, so war doch die Wahrheit nicht auf die Dauer gebannt. Denn wie sehr auch Mangel an Einsicht oder noch andere Ur- sachen dem Fortschritte der Wissenschaft Hindernisse bereiteten, so kommt doch das Wahre früher oder später zur Geltung. So lange aber war Wolff’s Ent decknng in Vergessenheit gerathen, dass selbst noch die ersten, durch die begin- nende neue Naturphilosophie angeregten Forschungen auf jenem Gebiete selbständig auf den richtigen Weg gelangten. Es waren Lorenz Oken und Dietrich Kieser, denen wir dort begegnen, bis später durch Ciir. Pander und v. Baer, beide von Ignaz Döllinger (1770—1841) in Würzburg zu entwickelungsgeschichtlichen oder besser epigenetischen Studien angeregt, die WOLFF'sche Lehre volle Bestä- tigung und methodische Weiterbildung empfing. Sie erlangte ihr Fundament in](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b28123074_0001_0048.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)