Volume 3

Die unregelmässige Herztätigkeit / von K.F. Wenckebach und Hch. Winterberg.

  • Wenckebach, K. F. (Karel Frederik), 1864-1940.
Date:
1927
    dem Zwecke, seinen Inhalt, das nährende sauerstoffreiche Blut, dem Körper zuzuführen. Wie sich auch andere Organe allerlei veränderten Anforderungen angepaßt und wie sehr sie dabei ihre ursprüngliche Funktion geändert haben mögen, das Herz blieb sich stets gleich. Diese Tatsache gibt uns gewisser¬ maßen das Recht, das menschliche Herz als ein immer noch primitives Organ zu betrachten und es in seinen Funktionen direkt mit dem Herzen des Embryo und der niederen Wirbeltiere zu vergleichen. Anatomische sowie physiologische Untersuchungen haben immer mehr zu dem Ergebnis geführt, daß eine prinzipielle Identität der Funktion besteht, die Unterschiede in vielen Hinsichten recht interessant, dabei aber nur von untergeordneter Bedeutung sind. Was im folgenden über die Natur und den Mechanismus der Herz¬ tätigkeit gesagt werden wird, gilt also der Hauptsache nach nicht nur für das Herz der Versuchstiere aus den verschiedensten Klassen der Wirbeltiere, sondern auch für das Menschenherz. Die Anatomie des spezifischen Muskelsystems. Für die uns hier beschäftigenden Fragen kommt hauptsächlich die Anatomie des sogenannten „spezifischen Muskelsystems“ des Herzens in Betracht. Dieses stellt wahrscheinlich einen Rest des ursprüng¬ lichen Herzschlauches dar und dient vor allem den Zwecken der Reizbildung und Reizleitung. Bei der embryonalen Entwicklung lagern sich die haupt¬ sächlich der Kontraktion dienenden Muskelfasern um das ursprüngliche Schlauchgewebe herum, das dadurch seine Lage an der Innenfläche des Herzens erhält. In der Reihe der Wirbeltiere wird dieses Muskelsystem immer mehr zu schmalen Bündeln, stellenweise auch zu Knoten (nodi) zusammen¬ gedrängt. Die Rückbildung des Sinus venosus bei den Säugetieren hat diese Herzabteilung ihrer Funktion als Blut sammelnden und befördernden Abschnitt beraubt. Der Best des Sinus, der von Keith und Mach (520) entdeckte Sinus¬ knoten, hat aber die wichtige Rolle eines Schrittmachers des Herzens bei¬ behalten. Dieser Knoten liegt nach der Beschreibung von Koch (536) am oberen Ende des Sulcus terminalis an der Einmündung der V. cava superior in den rechten Vorhof. Er hat die Gestalt einer unregelmäßigen Spindel, die sich im erwachsenen Herzen mikroskopisch mit ihren Ausläufern 2—3 cm weit bis zur Mitte des Sulcus terminalis verfolgen läßt. Die Dicke des Sinus¬ knotens beträgt an der stärksten Stelle ca. 1—2 mm. Die von Koch als Kopfteil bezeichnete Anschwellung hat ca. 1/2 — 1 cm unterhalb des Herz- ohr-Cava-Winkels ihre größte Ausdehnung. Von diesem Kopfteil aus verjüngt sich der Sinusknoten zu dem sog. Stammteil, der sich schließlich in die unteren Ausläufer verliert. Nach oben nimmt der Kopfteil sehr schnell an Dicke ab und geht ebenfalls in feine Ausläufer über. Der Kopfteil des Sinus¬ knotens liegt fast unmittelbar unter dem Perikard, sein Ende dagegen unter dem Endokard. Im Zentrum des Knotens sieht man stets eine für das histo¬ logische Bild charakteristische, die Orientierung sehr erleichternde stärkere,
    aus der Coronaria dextra stammende Arterie. Der Sinusknoten besteht aus fibrillenarmen, sehr schmalen Muskelfasern (y2—1/i der Breite von gewöhn¬ lichen Vorhoffasern), die in die Lucken eines wirren, bindegewebigen Maschen¬ netzes eingelagert sind. Von seiner Umgebung ist jedoch der Sinusknoten nicht bindegewebig abgeschieden; er steht vielmehr mit der gewöhnlichen Vorhofmuskulatur in inniger Verbindung. Eine scharfe Grenze läßt sich nach Koch zwischen den Fasern des Knotens und der Vorhofmuskulatur nicht ziehen. Der Übergang erfolgt all¬ mählich. Im Kopfteil sind die Muskelfasern geflechtartig, im Stamm und den Ausläufern dagegen in mehr paralleler Richtung angeordnet. Nach Thorei und Tandler gehen die Ausläufer des Sinusknotens in die an Purkinje sehe Fasern erinnernden sog. Röhrenfasern über, die zum A-V Knoten führen sollen. Eine solche direkte Verbindung wird aber von allen anderen maßgebenden Autoren in Abrede gestellt, wenn auch das Vorkommen morphologisch differen¬ zierter Muskelfasern und Bündel des Purkinje sehen Typus an verschiedenen Stellen der Vorhofwand allgemein zugegeben wird. Vielleicht ist auch der von Segre beschriebene (892) zweite Sinusknoten im linken Vorhof auf eine solche Ansammlung von Fasern spezifischer Struktur zurückzuführen. Die Erregungsübertragung zwischen Vorhof und Kammer wird durch das Atrioventrikularsystem (Mönckeberg) vermittelt, welches aus dem Atrioventrikularknoten, dem Bündelstamm, dem rechten und linken Schenkel, sowie den Endausbreitungen des Pm-kinjesehen Netzes zusammen¬ gesetzt ist. Der Atrioventrikularknoten (Aschoff-Tawarascher Knoten, A-V Knoten) besteht aus einer ungefähr 5 mm langen, 2—3 mm hohen Anhäufung spezifischer Fasern, welche unweit vom Koronartrichter, an der A-V Grenze, hinter dem zentralen Bindegewebskörper, etwa 1-5 mm unterhalb des tiefsten Ansatzpunktes der hinteren Semilunarklappe der Aorta gelegen ist. An seinem oberen Ende steht er vermittels der nach allen Richtungen ausstrahlenden Knotenausläufer, die sich unmerklich in der Vorhofmuskulatur verlieren, mit dieser in Verbindung (Fig. 1, Taf. 1). Der Knoten wird durch das Tri- gonum fibrosum in einen Vorhof- und Kammer ab schnitt geschieden, doch ist die Grenze eine rein äußerliche, da die beiden Teile ohne Änderung ihrer Form oder histologischen Struktur ineinander übergehen (Mönckeberg). Die spezifischen Muskelfasern, welche in den oberen Knotenteiien ein dichtes Netzwerk bilden, zeigen kammerwärts immer deutlicher eine parallele Anord¬ nung und durchsetzen dann als 10—15 mm langer Strang (Crus commune Tandler, Bündelstamm) das Trigonum fibrosum und gelangen zum unteren Rande des Septum membranaceum. An dieser Stelle teilt sich das bisher unpaare System in die beiden Schenkel für die rechte und linke Kammer. Der rechte Schenkel, der die direkte Fortsetzung des Bündels darstellt, verläuft, stellenweise subendokardial gelegen, als geschlossener Strang1) im *) In dem in Taf. 1, Fig. 1 abgebildeten, nach der Natur gezeichneten Präparate eines Menschenherzens, das wir H. Prof. Tandler verdanken, gibt der rechte Schenkel einen ziemlich starken Ast ab, der sich im Septum verliert.
    Bogen znm vorderen Papillarmuskel, während der linke Schenkel (Fig. 2, Taf. 2) gegen die linke Seite des Septums abbiegt und sich, sobald er die subendokardialen Gewebsschichten erreicht, fächerförmig aufteilt. Meist lassen sich jedoch zwei Hauptfasergruppen, welche zum vorderen und hinteren Papillarmuskel ziehen, deutlich unterscheiden. In dem abgebildeten Präparate bestehen zwischen beiden auffallend starke, netzförmige Verbindungen. Die Aufteilung der spezifischen Fasern der Schenkel in die Endaus¬ breitungen, die sogenannten Purkinje sehen Fäden, beginnt gewöhnlich erst in der Höhe der Wurzel der Papillarmuskel. Sie vollzieht sich ebenso fließend und ohne sichtbare Grenze wie der Übergang vom Knoten zum Bündelstamm und zu den Schenkeln. Die Purkinje sehen Fasern bilden subendokardial gelegene, außer¬ ordentlich dichte, die Innenfläche beider Kammern fast zur Gänze auskleidende Netze, welche in innige Verbindung mit der eigentlichen Ventrikelmuskulatur treten, in diese übergehen und in ihr verschwinden. Die Einzelheiten dieses Überganges in das Herzfleisch sind infolge der Schwierigkeit der histologischen Untersuchung noch ungenügend geklärt. Für die Frage der Reizübertragung auf die Kammermuskulatur wäre eine vollkommene Kenntnis dieser Details sehr erwünscht. Es läßt sich nicht mehr bezweifeln, daß das ganze System: Bündel, Schenkel, Verzweigungen und Netzwerk der Reizleitung dient und zwar in der Weise, daß die Erregung nahezu gleichzeitig in alle Teile des kontraktil aktiven Herzfleisches gelangt. Die muskuläre Natur des Systems er¬ scheint jetzt durch den Nachweis seiner Kontraktilität bewiesen [Erlanger (207), Ishihara u. Nomura (469), Pick (755)]. Das ganze Leitungssystem bis zu seiner Auflösung in die Purkinje- sehen Netze ist durch eine dünne bindegewebige Hülle — die Curransche Scheide (120) — von der umgebenden Muskulatur „isoliert“. Diese Scheide macht es infolge der reichlich ausgebildeten Lymphspalten möglich, das System durch Injektion von Tusche oder Farbstoffen makroskopisch sicht¬ bar zu machen. Schöne Abbildungen dieser Injektionen findet man in den Arbeiten von Pace (737, 738), bei Lewis (605) u. a. Im histologischen Bau des A-V Systems lassen sich 2 Abschnitte unterscheiden. Ein oberer, der vom Knoten bis zu den obersten Teilen der Schenkel herabreicht und aus Fasern besteht, die viel kleiner sind als die gewöhnlichen Myokardfasern, und ein von der Teilungsstelle weiter distal liegender, der sich aus Fasern zusammensetzt, welche alle anderen an Größe weit übertreffen. Im oberen, der Struktur des Sinusknotens ähnlichen Gebiete bilden die auch hier sarkoplasmareichen, fibrillenarmen Muskelzellen, welche sehr zahlreiche, gut färbbare Kerne besitzen und viel schmäler sind als die sie umgebenden unspezifischen Fasern der Vorhofmuskulatur, wiederum ein dichtes Netzwerk. Auch weiter unten im Knoten und im Bündelstamm stehen die schon mehr parallel gerichteten Fasern immer noch durch reichliche Anastomosen mit¬ einander in Verbindung. Ungefähr an der Grenze des oberen und mittleren Drittels der Schenkel, dort, wo diese unter das Endokard gelangen, findet
    der Übergang des schmalfaserigen Abschnittes in die breiten großen Zellen statt, welche den Purkinje sehen Fäden des Tierherzens an die Seite gestellt werden. Sie sind viel protoplasmareicher und ebenso fibrillenarm wie die anderen spezifischen Muskelfasern; die Fibrillen sind aber zumeist wand¬ ständig angeordnet und lassen das Zentrum frei, so daß man von Röhren¬ oder Hohlfasern spricht. Die Ausbildung dieser großen Muskelzellen ist jedoch beim Menschen sehr schwankend und zuweilen sind die spezifischen Fasern von der gewöhnlichen Muskulatur nur durch ihre Lage innerhalb der Binde- gewebsscheide zu trennen. Die Gefäßversorgung fzusammenfassende Darstellung bei Spalte- holz (913)] des spezifischen Systems weicht beim Menschen gleichfalls von den Verhältnissen bei den verschiedenen Tierarten ab. Sowohl der Sinusknoten als auch der Kopfteil des A-V Systems werden hauptsächlich von Ästen der rechten, in manchen Fällen auch der linken Art. coronaria ernährt, die sich im Sinusknoten zu einem geschlossenen arteriellen Ring, dem Circulus sinu- auricularis vereinigen. Auch in den A-V Knoten tritt ein stärkerer Ast ein, der sich bis in den Anfangsteil des Bündels verfolgen läßt; die peripheren Teile des Schenkels empfangen ihr Blut von der linken Koronararterie. Da aber vielfach Anastomosen zwischen den Ästen der rechten und linken Koronarge¬ fäße bestehen, muß auch nach vollständigem Verschluß des Abganges der rechten Koronararterie, wenn dieser allmählich erfolgt, keine nachweisbare Schädigung des Reizleitungssystems auftreten. Das Herznerven System. Die das Herz versorgenden Nerven sind teils sympathischen, teils parasympathischen Ursprunges. Die sympathischen Fasern kommen von den 3 Halsganglien und dem obersten Brustganglion, die parasympathischen vom Halsteile des Vagus. Sie verbinden sich miteinander zu den oberfläch¬ lichen und tiefen Herzgeflechten (Plexus cardiacus), welche an der Herzbasis zwischen den großen Gefäßen gelegen sind und Fortsätze längs der Koronar¬ arterien nach unten schicken. Von diesen Hauptgeflechten gehen Nerven¬ fasern ab, welche unter dem Epi- und Endokard sich wieder zu einem ober¬ flächlichen und tiefen Plexus vereinen und als feinste Fädchen die Muskel¬ fasern umspinnen. Die Frage der Ganglienzellen im menschlichen Herzen ist noch nicht vollständig gelöst. Sie sind mit Sicherheit im Vorhofe und besonders zahlreich im Sinusknoten nachgewiesen und auch in den Ausläufern des A-V Knotens gefunden worden. Nach neueren Untersuchungen von Woollard (1075) soll jedoch der Sulcus atrio-ventricularis die Grenze sein, über die hinaus keine Ganglien¬ zellen Vorkommen. Dagegen gelang es, Nervenfasern im Crus commune und in den Schenkeln darzustellen. Eine Unterscheidung zwischen sympathischen und parasympathischen Fasern ist histologisch nicht möglich. Doch gibt Woollard an, daß der Kammermuskel ausschließlich sympathisch innerviert sei, womit auch die physiologischen Experimente übereinstimmen. Ebenso verdanken wir unsere Kenntnisse über die Verteilung der rechten und linken
    Vagi und Accelerantes auf das Herz und ganz besonders auf das spezifische System vorwiegend der experimentellen Forschung, welche ergab, daß die rechts¬ seitigen Nerven vor allem den Sinusknoten, die linksseitigen den A-V Knoten beherrschen (822, 286, 111, 562, 24). Anatomische Untersuchungen lieferten ungeachtet vieler Abweichungen von dieser Verteilungsart im ganzen mit den experimentellen Ergebnissen übereinstimmende Resultate. Die Anatomie des Herznerven bei der Katze wurde von Böhm (54), beim Hunde von Lim Boon Keng (631) untersucht. Eine genaue Untersuchung der nervösen Versorgung des Herzens der Säugetiere verdanken wir v. Schumacher (887) und in neuerer Zeit Perman (750), Müller (702), Fukutake (258) und anderen. Die Nervenendigungen im Herzmuskel haben sich lange der Wahr¬ nehmung entzogen. Es ist wahrscheinlich Boeke (50) gelungen, sie im Schild¬ krötenherzen als kleinste Endringe mit periterminalem Netze zu finden. Die Grundeigenschaften des Herzmuskels. Die rhythmische Herztätigkeit kommt zustande durch das Zusammen¬ arbeiten mehrerer Funktionen des Herzmuskels. Nach Engelmann werden als solche die Kontraktilität, die Reizbarkeit, die Reizleitung und die Reiz¬ bildung unterschieden, während Gaskeil (295) auch den Tonus als gleich¬ wertige fünfte Funktion betrachtet. Zum richtigen Verständnis der Störungen dieser Grundeigenschaften, welche zu den hier behandelten Unregelmäßig¬ keiten in der Herztätigkeit führen, ist es notwendig, auf die einzelnen Funk¬ tionen und auf ihr Zusammenwirken im Herzen näher einzugehen; die Frage, ob die genannten Grundeigenschaften voneinander relativ unabhängig sind, wie Engelmann meinte, oder ob sie nur verschiedene Seiten eines und desselben Reaktionsvorganges sind [Hering (371, 372)], soll daher zunächst unberück¬ sichtigt bleiben. Die Kontraktilität. Die Kontraktilität wird an der Verkürzung des Herzmuskels gemessen. Von den für die Kontraktion der Skelettmuskel geltenden Ge¬ setzen unterscheidet sich der Herzmuskel in zwei Punkten: 1. Das Herz antwortet auf jeden wirksamen Reiz mit einer die ganze im Reizaugenblicke vorhandene Kontraktionsmöglichkeit erschöpfenden Systole. Die Größe der Systole ist daher unabhängig von der Reizstärke, es muß nur der Reiz die Reizschwelle übersteigen. Ist der Reiz zu schwach, so bleibt die Kontraktion natürlich gänzlich aus. Verstärkung des Reizes, auch bis weit über den Schwellenwert, ist nicht imstande, die Kontraktion zu ver¬ stärken. Es gibt daher der Herzmuskel „alles oder nichts“ [Bowditch (73; 74)]. 2. Die Kontraktilität kehrt erst während der Diastole, anfangs sehr schnell, dann langsamer ansteigend, wieder. Eine bleibende (tetanische) Kon¬ traktion, wie sie am Skelettmuskel infolge dauernder Reizung hervorgerufen wird, ist unter normalen Verhältnissen am Herzmuskel nicht zu erreichen. Diese beiden Eigenschaften lassen sich an einem einfachen Schema (Texfig. 1) leicht verdeutlichen: