Das Kleinhirn; neue Studien zur normalen und pathologischen Physiologie / [Luigi Luciani].

  • Luigi Luciani
Date:
1893
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Das Kleinhirn; neue Studien zur normalen und pathologischen Physiologie / [Luigi Luciani]. Source: Wellcome Collection.

    293/314 (page 275)
    In jedem Falle beharrt er bei seiner Hypothese. Er sieht das Klein- hirn für ein „Nervencentrum an, das vermittelst der ihm aus den halb- kreisförmigen Kanälen zugehenden Erregung, den Kopf zu Bewegungen veranlasse, die den von ihm verrichteten entgegen sind, — Bewegungen also, die ihn in seine normale Gleichgewichtsstellimg zurückführen wollend Damit sei indes nicht ausgeschlossen, dass das Kleinhirn auch noch anderen Fimktionen dienen könne. „Wenn ich glaube,“ (sagt er) „dass die Kopf- bewegungen bei den Tauben Veranlassung zu den Unregelmässigkeiten in den Bewegungen der Extremitäten geben können, so bin ich doch, nach Untersuchung eines kleinhirnlosen Hundes, geneigt anzuerkennen, dass jene Unregelmässigkeiten bei Säugetieren sehr wahrscheinlich auch von einer Störung des Haut- und Muskelsinnes bedingt werden. Ich freue mich auch, wenn ich sehe, dass auf diese Weise meine Ansichten mit denen meines Lehrers, des Prof. Ltjssana, sich vereinbaren lassen und dass ich mit Albertoni übereinstimme, der das Kleinhirn für das Organ ansieht, das die Eindrücke vom Labyrinth her und die Tast-, Muskel- und Gesichts-Empfindungen für die Erhaltung des Gleichgewichts verwertet.“ Es thut mir leid, dem Herrn Kollegen bemerken zu müssen, dass er mit dieser Konzession alles, was Originelles und Wahres an seiner Hypo- these ist, hat fallen lassen. Wir haben schon gesagt, dass letztere das Verdienst hat, in den kompensatorischen Akten, die zur Vermeidung des Fallens und zur Erhaltung des Gleichgewichts dienen, das zu erkennen, was am meisten charakteristisch für die Kleinhirnataxie ist. Es wider- strebt ferner annehmen zu sollen, dass das Kleinhirn bei den Vögeln andere Funktionen als bei den Säugetieren und Menschen habe. Endlich wollen wir bemerken, dass die eklektische Auffassung, für die er sich er- klärt, eine blosse Hypothese ist, die im Widerspruch mit allen bessern Beobachtungen, experimentellen wie klinischen, steht, die vielmehr die völlige Integrität aller Sinne bei nicht kompliziertem tiefem Kleinhirnaus- fall bezeugen. Ferner rührt sie auch nicht von Albertoni her, sondern ist vielmehr ein Wiederbelebungsversuch der alten FoviLLEschen Hypothese, oder beruht auf der falschen Deutung einer von Wundt in seinem klassischen Werke der physiologischen Psychologie neuerdings ausgesprochenen Ansicht.*) Ich sage falsche Deutung, weil Wundt bei seiner Behauptung, „das Kleinhirn sei zur unmittelbaren Regelung der Willkürbewegungen mittelst der Sinneseindrücke bestimmt“ sich lediglich auf anatomische Erwägungen be- zieht, indem er ausdrücklich annimmt, dass bei tieferen Kleinhirnläsionen alle bewussten Sensationen unberührt bleiben und daraus schliesst, dass zur Regulierung der Willkürbewegungen nur die Sinneseindrücke dienen, die direkt zum Kleinhirn (auf den zu ihm leitenden Bahnen) gelangen, ohne vorherige Umwandlung in bewusstgewordene Sensationen. Auch Laborde erhob vor der „Sociötö biologique“ (Sitzung vom 25. Januar 1890) einige Einwendungen gegen die in meiner prima memo- ria gegebene Auffassung, worauf kurz zu erwidern ich für nützlich erachte. *) W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie. (Leipzig, 1S80, S. 201-208.) IS*