Tastsinn und Gemeingefühl / von Ernst Heinrich Weber ; hrsg. von Ewald Hering ; mit einem Bildnis von E. H. Weber.
- Ernst Heinrich Weber
- Date:
- 1905
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Credit: Tastsinn und Gemeingefühl / von Ernst Heinrich Weber ; hrsg. von Ewald Hering ; mit einem Bildnis von E. H. Weber. Source: Wellcome Collection.
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![Besonderes Gemeingefühl in Teilen des Nervensystemes. Alle Empfindungen beruhen auf einer in den Nervenfäden vor sich gehenden Veränderung, und insofern kann man be- haupten, daß es nur ein Gemeingefühl in den Teilen des Ner- vensystemes gebe. Indessen kann [585] man doch in manchen Fällen unterscheiden, ob die erste Veranlassung zu einer sol- chen Veränderung von etwas ausgeht, was auf die peripherischen Enden unserer Nervenfäden oder auf die Stämme der Nerven oder auf die zentralen Teile des Nervensystemes wirkt. Dieses zu unterscheiden, ist in medizinischer Hinsicht wichtig, aber oft sehr schwer. Man hat Schauder, Ameisenkriechen, Eingeschlafensein oder Taubheit der Glieder, und Schmerz durch Krampf als besondere Äußerungen des Gemeingefühles des Nervensystemes angesehen, und in der Tat, es deuten diese Symptome auf ein Leiden hin, welches oft nicht in den in der Haut und in den Muskeln verborgenen Nervenenden, sondern in den Nervenstämmen unöl im Gehirne und Rückenmarke seinen Sitz hat. Gewiß entstehen auch viele Schmerzen auf diese Weise, daß die schmerzerregende Ursache nicht auf die Nervenenden in den Teilen, sondern auf die Nervenstämme oder auf die Nervenfäden im Gehirne und Rückenmarke wirkt. Aber sie sind schwer von den anderen Schmerzen zu unterscheiden. Ich kann mich nicht davon überzeugen, daß der Kopfschmerz nie- mals in Gehirnfasern, sondern immer in den Enden derjenigen Empfindungsnerven seinen Sitz habe, welche sich zu dem Zwecke, das Gehirn empfindlich zu machen, in das Gehirn hinein verbreiteten. Die Existenz solcher Nervi nervorum ist noch nicht dargetan. Longet, welcher sich ehemals mit Ma- gendie darüber stritt*), wer von ihnen durch physiologische Experimente dargetan habe, daß Empfindungsnerven aus der hinteren Wurzel der Rückenmarknerven am Ganglion spinale in die vordere Wurzel übergingen und sich in ihr in der Richtung nach dem Rückenmarke zu verbreiteten und dadurch diese Wurzel empfindlich machten, überläßt jetzt diese Ehre ganz Herrn Magendie und will von seinen eigenen Versuchen nichts mehr wissen**). Ehemals glaubte er gefunden zu haben, *) Longet in Comptes rend. 1839, Juin. No. 23, p. 920. **) Longet, Anatomie und Physiologie der Nervensystemes, über- setzt von Hein. Bd. I, Leipzig 1847, S. 30.](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21166687_0161.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)