Tastsinn und Gemeingefühl / von Ernst Heinrich Weber ; hrsg. von Ewald Hering ; mit einem Bildnis von E. H. Weber.
- Ernst Heinrich Weber
- Date:
- 1905
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Credit: Tastsinn und Gemeingefühl / von Ernst Heinrich Weber ; hrsg. von Ewald Hering ; mit einem Bildnis von E. H. Weber. Source: Wellcome Collection.
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![d. li. schon schwache Einwirkungen [514] verursachen Schmerzen. Sogar der Wechsel der Witterung kann in solchen Teilen auf eine sonst unbegreifliche Weise Empfindungen hervorrufen, und dessen ungeachtet ist das Vermögen, Wärme und Kälte zu unterscheiden, nicht nur nicht gesteigert, sondern sogar ganz aufgehoben. Ich erhielt auch durch Dr. Günther die Gelegen- heit, die Unempfindlichkeit der Gedärme gegen die Kälte in einem Falle zu beobachten, wo mehrere Windungen derselben durch eine Bauchwunde hervorgedrungen und nur durch die hervorgedrängte Bauchhaut bedeckt waren. Sie wurden mit einem Tuche bedeckt, das so eben in kaltes Wasser eingetaucht worden war, welches (im September) die Zimmertemperatur hatte; der Patient hatte dabei nicht die geringste Empfindung von Kälte oder Schmerz und fühlte auch keinen Druck. Zu demselben Resultate führten Versuche, welche Stein- häuser*) bei einer Frau anstellte, bei welcher sich infolge einer Abdominalschwangerschaft ein Abszeß am Unterleibe gebildet hatte, und ein Anus artificialis am Dickdarme entstanden war, der später heilte. Bei dieser Frau, die sonst vollkommen ge- sund war und namentlich auch gut verdaute, trat durch eine, 1^2 Zoll im Durchmesser große Öffnung der Darm, indem er sich umstülpte, hervor. Nachdem Steinhäuser der Frau die Augen mit einem Leinentuche verdeckt hatte, berührte er die Schleimhaut längere Zeit mit Eis und hierauf mit einem Eisen, das so warm war, daß man es kaum in der Hand halten konnte. Aber die Patientin fühlte nichts davon. Wurde die Schleimhaut mit einer Nadel gestochen, so merkte sie nicht, daß sie berührt wurde. Diese Versuche wurden oft und immer mit demselben Erfolge wiederholt. Sogar von der Berührung mit Höllenstein, und als ein Stückchen Schleimhaut mit der Schere ausgeschnitten wurde, fühlte die Patientin nichts. Wenn man sehr warme oder sehr kalte Getränke verschluckt, so bemerkt man, daß die Zunge, der Gaumen und der Schlund Tastsinn haben. Von hieran verschwindet er aber oder wird wenigstens so unvollkommen, daß man daran zweifeln kann, ob er noch überhaupt vorhanden sei. Füllt sich der Magen mit warmen und kalten Getränken, oder wird der Dickdarm durch Klistiere mit warmen und kalten Flüssigkeiten erfüllt, so müssen in wenig Sekunden die anliegenden Häute und *) Steinhäuser, Experimenta nonnulla de sensibilitate et func- tione intestiui crasai. Lipsiae 1831, p. 19.](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21166687_0060.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)