Verletzungen und chirurgische Krankheiten des Gesichts.

  • Friedrich Trendelenburg
Date:
1886-1913
Catalogue details

Licence: In copyright

Credit: Verletzungen und chirurgische Krankheiten des Gesichts. Source: Wellcome Collection.

    36/210 (page 34)
    Langenbeck's Beobachtung betrifft einen 17jährigen Mann, bei dem der Unterkiefer in allen Dimensionen zu klein war, links noch mehr als rechts. Das Kinn trat sehr stark zurück, der ganze Unter- kiefer trug nur 10 Zähne (4 Schneidezähne, 2 Eckzähne, 4 Backzähne). Zugleich bestand vollständige Kieferklemme und zwar, wie der Erfolg einer Resectiou an den Processus coronoidei lehrte, in Folge von ab- normer Configuration und Stellung dieser Fortsätze. Einige ältere, nicht genauer beschriebene Fälle finden sich bei Langenbeck citirt. Gewiss mit Recht zählt Ogston zu den Fällen von angeborener Kieferkleinheit auch eine ältere Beobachtung von R. Smith (Dublin. Journ. 1842), welche derselbe als angeborene Verrenkung des Unter- kiefers deutete. Auch hier war die rechte Hälfte des Unterkiefers in allen Dimensionen kleiner als die linke, der Gelenkfortsatz war nur an- gedeutet, die Knorpelfläche fehlte. Ausserdem war die ganze Gesichts- hälfte mangelhaft entwickelt. Ob die Asymmetrie des ganzen Gesichts in den Fällen von ein- seitiger mangelhafter Entwicklung des Unterkiefers ebenfalls auf eine mangelhafte fötale Entwicklung zu schieben, oder vielmehr als eine spätere Folge der mangelhaften Bildung des Unterkiefers anzusehen ist, muss dahin gestellt bleiben. Da wir auch bei Caput obstipum durch Contractur des Sterno- cleidomastoideus, sowie bei Narbencontracturen am Halse und im Ge- sicht, secundär eine Asymmetrie des ganzen Gesichts zu Stande kommen sehen, so ist es nicht unmögHch, dass die Störung des Gleichgewichts durch die angeborene Asymmetrie des Unterkiefers secundär zu der Asymmetrie des ganzen Schädels führt. Von mehr teratologischem als chirurgischem Interesse sind die Epignathie und Polygnathie am Unterkiefer. Zu der Epigna- thie gehören wahrscheinlich die Fälle von Faucon (s. o. pag. 27) und Verneuil (bei Magitot), welche Magitot seinem Aufsatze über Polygnathie beim Menschen zu Grunde legt; der rudimentäre zweite Unterkiefer ist als Rudiment eines zweiten Individuum, eines sogenannten Parasiten zu deuten. Ein Fall von, wie es scheint, wirklicher Poly- o-nathie, d. h. von doppelter Anlage des Unterkiefers bei demselben Individuum, ohne Beihülfe eines Parasiten, ist in der Bonner Klinik beobachtet und von W. Meyer beschrieben worden. Der zweite rudi- mentär entwickelte, aber mit einem vollständigen Zahnbogen, mit Schneide- zähnen, Backzähnen und Mahlzähnen versehene Unterkiefer sass der äusseren Fläche der buken Hälfte des Unterkiefers seitlich auf. In Bezug auf die näheren Details und die analogen Beobachtungen bei Thieren verweise ich auf die Abhandlung von W. Meyer (Arch. f. klin. Chir. XXIX). ^ ^ • Zu erwähnen bleibt noch, dass in ganz seltenen lallen em con- crenitaler Defect der ganzen Zunge beobachtet worden ist. Jussieu sah 1718 in Lissabon ein ISjähriges Mädchen, das ohne Zunge geboren war. An Stelle derselben sah man nur eine unbedeutende, 3_4' hohe warzenförmige Erhabenheit (bei Louis). Em ähnhches Verhalten constatirte Spiller bei einem Neugeborenen. Am^ Boden der Mundhöhle war nur eine P/a' hohe Leiste zu sehen, das Gaumen- segel war gespalten (Beely).