Grundriss der pathologischen Anatomie / von Gotthold Herxheimer.

  • Gotthold Herxheimer
Date:
1932
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Credit: Grundriss der pathologischen Anatomie / von Gotthold Herxheimer. Source: Wellcome Collection.

    583/732 (page 567)
    überall da eintritt, wo Nervengewebe unter Erhaltenbleiben des gliösen Stützgewebes zum Absterben kommt. Es kommen mechanische Einflüsse, lange andauernde ödematöse Quellung des Nervenparenchyms (s. u.), Herabsetzung der Blutzufuhr, vielleicht auch ther¬ mische Einwirkungen, vor allem aber giftige Einflüsse in Frage. So werden z. B. Degenerationen von Nervenfasern in der Hirnrinde nach Vergiftung mit Kohlenoxyd, nach Sonnenstich usw. nachgewiesen; auch im Rückenmark und in den peripheren Nerven werden unter verschiedenen Umständen ähnliche Veränderungen gefunden (s. u.). Eine große Rolle spielen ferner gewisse von Bakterien, vielleicht auch von Schimmelpilzen und anderen kleinen Lebewesen, gebildete Gifte, ferner auch Autointoxikationen. So kommen bei einer Reihe von Infektionskrankheiten außer funktionellen Störungen (Reizerscheinungen, Lähmungen usw.) degenerative (auch entzünd¬ liche s. u.) Vorgänge zur Beobachtung. Dabei ist nun noch zu betonen, daß manche Bezirke des Zentralnervensystems besonders empfindlich sind, oder besonders leicht reagieren (wie z. B. die Burkinjeschen Zellen des Kleinhirns) und daß für bestimmte Schädlichkeiten unterschiedlich bestimmte Teile des Zentralnervensystems, be¬ sonders des Gehirns, so z. B. das striäre System des Corpus striatum, besonders empfäng¬ lich sind. Die einzelnen vor allem infektiösen und giftigen Einwirkungen haben mancherlei Besonderes in Ausbrei¬ tung, Sitz und Form der Schädigung der Nervenbestandteile einerseits, der Reaktion besonders der Glia anderer¬ seits, sowie auch der Beteiligung von Gefäßveränderungen, doch sind die Veränderungen an sich meist nicht für einzelne Grunderkrankungen kennzeichnend, sondern einer Reihe solcher gemeinsam. Wir bewegen uns hier vielfach an der Grenze einfacher degenerativer Veränderungen mit reparativen Reaktionen und solcher Vorgänge, die wir als entzündlich bezeichnen dürfen, öfters geht auch beides an verschiedenen Orten, nicht in unmittelbarer Abhängigkeit voneinander, vor sich, und so ist eine Abgrenzung kaum irgendwo schwerer und umstrittener als hier. Einige Sonderfälle wollen wir noch unten unter den Entzündungen anführen. Auch bei manchen Geisteskrankheiten finden sich feinste, meist nur mit bestimmten Verfahren nachweis¬ bare Veränderungen degenerativer Natur im Zentralnervensystem. So wurden die besonderen Ganglienzell¬ veränderungen bei der familiären amaurotischen Idiotie schon erwähnt. Hier sind die Zellen mit Lipoiden nahestehenden Körnern durchsetzt und zeigen oft sehr auffallende, auch ballonartige Auftreibungen der Zellen selbst und ihrer Fortsätze. In den gliösen Begleitzellen werden die Stoffe zu Lipoiden umgebaut. Die Verände¬ rungen sind bei der Form der Kinder meist schwerer (und zum Zelluntergang führend) als bei der der Jugendlichen. Bei der Dementia praecox handelt es sich wohl um einen langsamen, aber fortschreitend verlaufenden Abbau¬ vorgang der Rinde, besonders in bestimmten Gebieten, ohne Zeichen der Entzündung. Man findet Schrumpfung, Verfettung, die sog. akute und die schwere Zellerkrankung Nissls, Vakuolen, Imprägnationen, Absterben von Ganglienzellen, also wenig kennzeichnende regressive Ganglienzell Veränderungen, wie sie oben besprochen wurden. Die Glia zeigt auch regressive und vor allem Wucherungserscheinungen, auch Vermehrung der Fasern. Auch andere Gehirngebiete zeigen Veränderungen, so, wohl sekundäre, der Thalamus opticus. Bei Epilepsie finden sich vor allem Degenerationen der Purkinjeschen Zellen des Kleinhirns mit strauch¬ artiger Wucherung der Glia bis zu Glianarben sowie im Ammonshorn Untergang von Zellen mit folgender Sklerose. Die Ursache wird jetzt vielfach in Ischämie auf Grund von spastischen Gefäßstörungen gesehen, die sich gerade an den genannten Stellen infolge besonders ungünstiger Gefäß Versorgung äußern mag. Bei der Chorea handelt es sich um morphologisch und wohl auch entstehungsmäßig verschiedene Krank¬ heitsbilder, für deren Gemeinsamkeiten der Sitz der Hauptveränderungen das Wesentliche zu sein scheint. Es handelt sich um mehr oder weniger schwere Veränderungen der Ganglienzellen und unter Umständen Glia- reaktionen, Veränderungen, die die Rinde sowohl wie den extrapyramidalen Apparat, unter Umständen auch die Pyramidenbahn und das Rückenmark, befallen können, die aber einen bevorzugten Sitz in den kleinen neostriären Bestandteilen besitzen (Levy). Man muß verschiedene Formen der Chorea unterscheiden. Bei der Huntington- schen vererbbaren progressiven Chorea sind die Veränderungen schwerer und verbreiteter als bei der nicht erb¬ lichen. Auch bei der infektiösen Chorea der Kinder — bei der mehr entzündliche Lymphozyten- usw. Infiltrate dazu kommen können — sind die Zellen des Neostriatum am schwersten erkrankt (herdförmig neigen sie vor allem zu Verflüssigungsvorgängen), aber auch andere Gebiete und besonders die Rinde sind beteiligt. Bei der mit zirrhotischen Leberzuständen einhergehenden Wilsonschen Krankheit (sog. fortschreitende Linsenkernerkrankung) und der ihr wohl ganz nahe zu stellenden Westphal-Strumpellschen Pseudosklerose handelt es sich um Nervengewebs Veränderungen mit Gliawucherung oder die oben erwähnte schwammige Auf¬ lockerung (,,Status spongiosus“) ohne genügende Gliadeckung, besonders im Globus pallidus und im Neo- striatum, aber auch mit Veränderungen in anderen Gehirnteilen, besonders Ganglienzellausfall in der Hirn¬ rinde. Es finden sich nach Alzheimer benannte Gliazellformen; die Zellen werden sehr groß, weisen große, oft riesige Kerne mit eigenartigen Auswüchsen auf, gehen aber ohne Faserbildung zumeist wieder zugrunde. Bei der Paralysis agitans (Parkinsonsche Krankheit) liegt eine Alterszellerkrankung vor mit Abbau nervösen Gewebes und ebenfalls geringer Gliawucherung, so daß ein Status spongiosus zustande kommt, auch hier gewisse subkortikale Kerngebiete, vor allem den Globus pallidus oder die Substantia nigra, hauptsächlich befallend. Bei Alkoholvergiftung (Delirium tremens) bestehen auch degenerative Veränderungen der Ganglien¬ zellen — besonders des Stirn-, Schläfen- und Kleinhirns (Purkinj esche Zellen) —, dazu kommen oft Blutungen. Bei chronischem Alkoholismus treten an die Stelle der diffusen Ganglienzellen- und Fasernentartungen Glia¬ wucherungen. Bei Bleivergiftung zeigen die kleinen Gefäße, besonders der tiefsten Rindenschichten, Endothel¬ wucherungen und Sprossungen; Entartungen der nervösen Bestandteile schließen sich an; oder solche auch an peripheren Nerven — setzen unmittelbar als Vergiftungserscheinung ein. Bei Kohlenoxydvergiftung finden