Volume 1
Handbuch der Hygiene / herausgegeben von M. Rubner, M. v. Gruber und M. Ficker.
- Max Rubner
- Date:
- 1911
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Credit: Handbuch der Hygiene / herausgegeben von M. Rubner, M. v. Gruber und M. Ficker. Source: Wellcome Collection.
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![In England sind 11—12jährige Knaben: in Public Schools ' . von Feldarbeitern von Fabrikarbeitern in den Industrial Scliools für die Ärmsten im Mittel 55 engl. Zoll lang Freilich vermögen die Kinder der Armen den Vorsprung der Wohl- habenden wieder einzuholen, wenn sie rechtzeitig unter günstigere Bedin- gungen gelangen, wie z. B. die Erfolge der Ferienkolonien lehren. Wenn aber die Ungunst des Schicksals bis zum Ende der Wachstunisperiode andauert, kann sie zu bleibender Kleinheit und Kümmerlichkeit des Körpers führen. Die Hunde Hermann v. Hößlins [2] werden für jeden, der sie gesehen hat, unvergeßlich bleiben. Der eine, welcher während der ganzen Wachs- tumsperiode auf die Hälfte der Ration seines Bruders gesetzt worden war, blieb schließlich ein Zwerg, mit einem Gewichte von 9,5 kg gegenüber den 30,3 kg seines Bruders. Wieviel die Umwelt über die Beschaffenheit des Individuums vermag, lehren schlagend die häufig so glänzenden Erfolge der diätetischen, physi- kalischen und klimatischen Kuren, die das Individuum nicht nur vorüber- gehend in einen besseren Ernährungszustand versetzen, sondern ihn nicht selten auf immer über gewisse Hemmungen und krankhafte Störungen hin- weghelfen. Andererseits sehen wir selbst sehr robuste Konstitutionen in langdauernder Gefangenschaft, unter der Wirkung von ^Blei und anderen gewerblichen Giften zusammenbrechen. Der Einfluß der Übung auf die Ent- wicklung von Muskeln, Knochen, Herz, Lungen ist außerordentlich groß! Die Sterblichkeit derselben Bevölkerung, ihre Widerstandsfähigkeit gegen Ansteckung ist außerordentlich verschieden hoch, je nachdem sie gut ge- nährt ist oder hungert. Nach Virchows[3] Bericht war der Krankheitskeim des Rückfallfiebers schon mehrere Jahre lang unter der oberschlesischen Bevölkerung verbreitet gewesen, ohne ihr wesentlichen Schaden zu tun, bis unter der Wirkung der Hungersnot im Jahre 1847 die Epidemie zum Aus- bruch kam. Die Verminderung der Sterblichkeit aller Altersklassen, die in den letzten Jahrzehnten beobachtet wurde, wäre undenkbar ohne eine Er- höhung der Widerstandsfähigkeit der Individuen. Daß wirmit dieser Behauptung recht haben, lehrt vor allem die Tuberkulose. Die starke Ab- nahme der Lungenschwindsucht ist in der Hauptsache nicht dadurch herbei- geführt worden, daß die Zahl der Ansteckungen geringer geworden ist — der Ausfall der v. Pirquet sehen Reaktion und ihrer Modifikationen lehrt an- scheinend, daß auch heute noch fast alle erwachsenen Personen irgend einmal in ihrem Leben eine Infektion mit dem Tuberkelbazillus durchgemacht haben — sondern durch die Steigerung der Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung infolge ausreichender Ernährung, verminderter körperlicher Anstrengung usw. Und wir dürften sicher sein, die Schwindsucht sofort wieder sich ausbreiten zu sehen, wenn die Ernährung der breiten Volksschichten aus irgendeinem Grunde (unglücklicher Krieg, Störung des Handels) auf längere Dauer merk- lich verschlechtert würde. Wir vermögen übrigens auch heute experimen- tell nachzuweisen, wie durch Hunger und andere ungünstige Extraleinflüsse die Neubildung der Schutzkörper, des Alexius und der Immunstoffe ge- stört wird.](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21357626_0001_0024.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)