Lehrbuch der Toxikologie : für Aerzte, Studirende und Apotheker.
- Louis Lewin
- Date:
- 1885
Licence: Public Domain Mark
Credit: Lehrbuch der Toxikologie : für Aerzte, Studirende und Apotheker. Source: Wellcome Collection.
Provider: This material has been provided by the Augustus C. Long Health Sciences Library at Columbia University and Columbia University Libraries/Information Services, through the Medical Heritage Library. The original may be consulted at the the Augustus C. Long Health Sciences Library at Columbia University and Columbia University.
15/476 (page 1)
![Entwicklung der Giftkunde. — Anwendung der Gifte als Strafmitte]. —• Verbrecherischer Gebrauch derselben im Alterthum und Mittelalter. — Schutz gegen Gifte durch Gesetze und Verordnungen. — Der Begriff „Gift. — Verhältnisse, welche die Giftwirkung bedingen oder aufheben. — Form der Anwendung, EesorptioD, Ausscheidung und Deponirung der Gifte. Race, Idio- synkrasie, Gewöhnung und Immunität. Durch Sage und schriftliche Ueberlieferung haben wir schon aus den ältesten Zeiten des menschlichen Geschlechtes Kunde von gewissen, in der Natur sich vorfindenden Sub- stanzen, die im Gegensatz zu groben äusseren Einwirkungen im Stande sind, nach innerlicher Beibringung in relativ kleinen Mengen die Gesundheit zu schädigen, das Leben zu gefährden. Nur wenige bevorzugte Individuen kannten diese Stoffe und ihre Eigenschaften. Mit dem Fortschreiten der Erkenntniss wurde die Zahl solcher Substanzen grösser, und auch diejeni- gen mehrten sich, welche im Besitze derartigen Wissens das- selbe verwertheten und auf Andere als Geheimniss übertrugen. Priester und Könige waren gewöhnlich die Träger desselben. Aber auch jene, welche beim täglichen Aufenthalt in der Na- tur in Begleitung von Thieren deren Abneigung gegen gewisse Kräuter Beobachtung schenkten, kamen bald dahin, diese Abneigung gegen den Genuss auf die Schädlichkeit zurück- zuführen und so zu Kennern solcher als „Gifte bezeichneten Stoffe zu werden. Im Laufe der Zeit wurde dieses Wissen verallgemeinert und auch praktisch verwerthet. Athen wählte den Schierlingssaft als Todesstrafe für seine Staatsverbrecher, eine Todesart, die langsamer abläuft als die durch Herabstürzen vom tarpejischen Felsen, durch das Beil oder den Strang, die aber die Körperform intact lässt. Vielleicht war dies mit Rücksicht auf den Schönheitssinn der Hellenen der Grund für diese Art der Strafvollziehung. Selbst viele Jahrhunderte später sehen wir vereinzelt eine gewisse officielle Anwendung von Giften zum Zwecke der Erkenntniss der Wirkung oder des Versuchens von Gegenmitteln. So berichtet u. A. Matthiolus über Vergiftungen mit Aconit, die sowohl in Venedig, als auch in Rom im Beisein von Papst Clemens VII. an zum Tode verurtheilten Verbrechern vorgenommen wurden, und Ambroise P a r e theilt die auf Geheiss Karl's IX. vorgenommene Ver- giftung eines Diebes mit Sublimat mit. Lewin, Toxikologie. i](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b21214906_0015.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)