Die Krankheiten der Frauen : für Arzte und Studirende / dargestellt von Heinrich Fritsch.
- Heinrich Fritsch
- Date:
- 1894
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Credit: Die Krankheiten der Frauen : für Arzte und Studirende / dargestellt von Heinrich Fritsch. Source: Wellcome Collection.
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![dem Zeugungsgeschäft im weitesten Sinne abhängige, körperliche Ver- änderungen sind von ebenso bestimmten Gefühlsempfindungen gefolgt. Der pathologische Zustand des Gemüthes wirkt in viel grösserem Maasse auf den Körper des Weibes zurück als beim Manne. Ebenso theilt sich ein pathologischer körperlicher Zustand dem ganzen Denken und der Stimmung viel unmittelbarer mit als beim männlichen Individuum. Jeder Arzt kennt den wechselseitigen Einfluss der Menstruation auf das Gemüth und umgekehrt. Wie oft erlebt man, dass aus geistiger Erregung, z. B. vor einer grossen Operation, die Menstruation ganz atypisch eintritt, oder dass sie bei starker Gemüthserregung, z. B. bei Schreck, wegbleibt. Und umgekehrt hat die Menstruation auf das Ge- müth einen meist deprimirenden Einfluss. Von der leichten Verstimmung und Verdriesslichkeit bis zum regelmässigen Eintreten schwerer hyste- rischer Krämpfe bei der Menstruation ist eine lange Eeihe nur graduell verschiedenen, gestörten, geistigen Befindens. Während beim Manne der Beruf und die Pflicht eine bestimmte Geistesrichtung schafft, die das seelische Gleichgewicht auch bei grossen geistigen Traumen erhält, hängt bei der Frau Pflicht und Beruf und Genuss viel directer mit körperlichem Wohlbefinden zusammen. Ist dieseä gestört, so stellt sich bald das unangenehme, drückende Bewusstsein der Unmöglichkeit treuer Pflichterfüllung, überhaupt der Leistungsunfähigkeit ein. Kommt dann eine Prädisposition zur Hysterie hinzu, die es ebenso wie zu Psychosen zweifellos giebt, so entsteht durch die wechselseitigen intimen Beziehungen zwischen Geist und Körper die Basis, auf der sich, je nach der Individualität des speciellen Geistes und Körpers, die ver- schiedenen hysterischen Affectionen aufbauen. Ist die Disposition eine bedeutende, so wird schon zeitig durch kleine Gelegenheitsursachen, z. B. durch imitatorische Ansteckung, Onanie u. s. w,, Hysterie] entstehen. Andere, besser organisirte Frauen werden langsamer und später hysterisch. Aber selbst das geistig und körperlich gesundeste Mädchen kann hysterisch werden. Wie oft sah ich, dass ein gesundes Mädchen in der Ehe sich zu einer schwer hysterischen Frau umwandelte. Tripperinfection, Peri- metritis, Sterilität, Dysmenorrhoe, Obstruction, nervöse Dyspepsie, das Bewusstsein, weder Pflichten erfüllen noch das Leben geniessen zu können, die Enttäuschungen einer unglücklichen Ehe bilden genug Momente, um auch den kräftigsten Geist Schiffbruch leiden zu lassen. Dann bildet sich die Hysterie als eine Art Psychose aus. Zu den speciellen ätiologischen Momenten gehören Krankheiten der Genitalorgane mit ihrem depravirenden Einfluss. Wenn aber Jemand meint, durch Aufrichten der Retroflexio oder Aetzen des Muttermundes Hysterie geheilt zu haben, so spielt hier die Psyche, die Einbildung, die Suggestion die Hauptrolle. Dass ein so complicirter pathologischer](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b2105339x_0547.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)