Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus.
- Hugo Magnus
- Date:
- 1902
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Credit: Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus. Source: Wellcome Collection.
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![So hatte z. B. Oribasius — lebte im vierten und fünften christlichen Jahrhundert — ein Werk hinterlassen, welches in 70 Bänden Auszüge aus allen berühmten medicinischen Werken der Vorzeit zusammengestellt hatte. Andere Autoren bekennen in ihren Werken zwar ganz deutlich eine auf eigenen Beobachtungen fussende Auffassung der gesunden wie krankhaften Erscheinungen — so finden wir z. B. beiAetius (6. Jahrhundert) eine Schilderung des Altersstaares, welche ganz mit der modernen Auffassung zusammenfällt —, können aber trotzdem ihren Werken den Charakter der Compilation nicht nehmen. Aehnlich verhält es sich mit dem grössten medicinischen Schriftsteller des 7. Jahrhunderts, mit Paulus von Aegina. Sein u7iö[xvY][ia, d. h. Erinnerungsbuch genanntes Werk wurde von ihm ausdrücklich in der Absicht verfasst, den Aerzten das Studium der alten Mediciner zu erleichtern und ist deshalb im Grossen und Ganzen nichts wie eine geschickt hergestellte Compilation; aller- dings eine Compilation, welche in einzelnen Capiteln, so in der Chirurgie und Geburtshilfe, grossentheils auf eigenen Erfahrungen beruht und deshalb hier den Eindruck einer selbstständigen Arbeit wohl hervorrufen kann. Wie sehr man das Wesen der Medicin nur in dem todten, den Aerzten der Vorzeit entlehnten Dogmenkram suchte, geht daraus hervor, dass man jetzt mit Vorliebe die medicinischen Lehrbücher in Versen verfasste. Man glaubte auf diese Weise den trockenen Stoff schmackhafter zu machen und das Erlernen desselben den Aerzten zu erleichtern. So verfasste z. B. Benedictus Crispus (8. Jahrhundert) sein Libellus de medicina in wohlgebauten Versen, ebenso Waldfridus Strabus (9. Jahrhundert) seinen Hortulus. Unsere Schuljugend erfreut sich dieser gereimten Unterrichtsmethode bekanntlich noch bei Erlernung der lateinischen Genusregeln. Es ist nun kein blosser Zufall, dass das Auftreten det dogmatisch-compilatorischen Richtung der Medicin zeitlich mit dem Erstarken des Christenthums zusammenfällt. Vielmehr hat das Christenthum, sobald es mit seiner Anerkennung die nöthige Stärke dazu gefunden hatte, die dogmatische Richtung in die Medicin eingeführt. Es hat, so lange es die praktische Medicin sowie den ärztlichen Unterricht in der Hand hielt, die dogmatische Ausgestaltung der Heilkunst mit allen Kräften gefördert. Und als mit dem Aufblühen der Universitäten und medicinischen Laien- Collegien der ärztliche Unterricht aus dem Kloster in den akade-](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b2244757x_0054.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)