Knabenfreundschaften / von Ludwig Gurlitt. Ethik des Geschlechtslebens / von Ernst Baars. Sexualforschung in Spanien / von Hermann Rohleder. Rundschau. Kritiken und Referate. Bibliographie. Über Vorträge, Vereine und Versammlungen.
- Ludwig Gurlitt
- Date:
- 1909
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Credit: Knabenfreundschaften / von Ludwig Gurlitt. Ethik des Geschlechtslebens / von Ernst Baars. Sexualforschung in Spanien / von Hermann Rohleder. Rundschau. Kritiken und Referate. Bibliographie. Über Vorträge, Vereine und Versammlungen. Source: Wellcome Collection.
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![neurotischen Symptome in Parallele zu psychischen Äusserungen des Dichters setzt und für ihre angebliche Identität zahlreiche Belege gibt. „Alle Dichter ohne Ausnahme leiden an Angstzuständen“ (S. 34). „Goethe war ein schwerer Neurotiker. In Strassburg zeigte er typische Symptome einer ausgesprochenen Angsthysterie“ (S. 25). „Er fürchtete alle traurigen Nachrichten und mied ängstlich alle unangenehmen Eindrücke. Es war das Weib in ihm, die nie fehlende homo¬ sexuelle Komponente des Neurotikers, die sich auf diese Weise äusserte“ (S. 26). „Alle Neurotiker sind bisexuell. Der Künstler zeigt sich in dieser Hinsicht als vollkommenes Analogon. Alle Menschen sind bisexuell angelegt, aber die Künstler zeigen einen besonders starken Zug zur Homosexualität“ (S. 26). „Bei allen Neurotikern können wir ausser der starken homosexuellen Komponente auch die In¬ zestgedanken fn geradezu überwuchernder Üppig¬ keit nach weisen.“ „Die Weltliteratur ist eigent¬ lich eine Kette von fortlaufenden Geständnissen der Dichter über diesen Geg enstand“ (S. 27). „Nach meinen Erfahrungen ist die Homosexualität nur die Flucht vor dem Inzest“ (S. 34). (Beweis: Die für ihn — nicht für andere — erwiesene Homosexualität von Kleists Stief¬ schwester Ulrike: „Weil jeder Mann für sie der Bruder war, weil der Bruder für sie alles Männliche repräsentierte, konnte sie keinen Mann lieben und flüchtete zu ihrem eigenen Geschlechte“ [S. 34]). „Die Kusine ist das typische Kompromiss zwischen Inzestgedanken auf die Mutter oder Schwester und deren Abwehr“ (S. 32). Kurz und gut, die Psychologie, die S t e k e 1 von Künstler und Kunstwerk gibt, ist durch und durch von sexuellen Elementen durch¬ setzt. Da wo der Unbefangene auch nicht eine Spur davon be¬ merken kann (z. B. in dem Verhältnis Kleists zur genannten Schwester), da sieht er „ein deutliches sadistisch-masochistisches Spiel“ (S. 34). Entsprechend dieser psychischen Einstellung aufs Sexuelle ist daher für ihn auch der Dichter „der typische Exhibitionist“. „Freilich in sublimierter Form. Er entblöst seine Seele und führt sie frierend auf den Markt. Alle Dichter sind Sadisten und Masochisten, wie alle Neurotiker“ (S. 36). Doch genug des sadistischen Spiels. Vieles Hesse sich — vom psychologischen wie speziell vom psychiatrischen Standpunkte — frei¬ lich noch dagegen sagen, was auszuführen hier nicht der Ort ist. Überzeugend wirken jedenfalls S t e k e 1 s Darlegungen auf mich nicht, und ich glaube nicht, dass blosse Voreingenommenheit oder eine hier ganz und gar nicht angebrachte sittliche Entrüstung die rechte Würdi¬ gung der Arbeit nicht zulässt. Die reichlich angeführten Zitate be¬ halten natürlich ihren Wert. Dr. Birnbaum, Buch-Berlin.](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b30614235_0052.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)