Psychoanalytische Beiträge zur Mythenforschung : gesammelte Studien aus den Jahren 1912 bis 1914 / von Otto Rank.
- Otto Rank
- Date:
- 1919
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Credit: Psychoanalytische Beiträge zur Mythenforschung : gesammelte Studien aus den Jahren 1912 bis 1914 / von Otto Rank. Source: Wellcome Collection.
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![die Nacht bei ihr. — Und Gott erhörte Lea, und sie ward schwanger und gel)ar Jakob den fünften Sohn” (Gen. XXX, 14—17). Aber nicht nur Lea wird vom Moment des Dudaimstreites wieder fruchtbar, sondern auch der seit jeher unfruchtbaren Rahel „gedachte der Herr und erhörte sie und machte sie fruchtbar. Da ward sie schwanger und gebar einen Sohn und sprach: Gott hat meine Schmach von mir genommen” (XXX, 22—23). Diese den befruchtenden Liebes- äpfeln entsprechenden Dudaiin werden hier zwar nicht gegessen und erscheinen somit auch nicht mehr als Grund des plötzlichen Kindersegens; doch steht in auffälligem Gegensatz zu ihrer mangeln- den späteren Verwertung in der Erzählung der Eifer, mit dem sich die neidige Rahel um ihren Besitz (ihre „Teilung”! [vgl. die typische Teilung zwischen zwei Frauen, meist Herrin und Magd]) bemüht, für den sie sogar eine Liebesnacht mit ihrem Manne opfert und damit der gerade um den Kindersegen beneideten Nebenbuhlerin den Dienst erweist, der ihr selbst am ehesten zu einem Kinde verhelfen könnte. Der Grund dieses heroischen Verzichtes auf den befruchtenden Bei- schlaf des Gatten kann ursprünglich nur der gewesen sein, daß sie eben die befruchtende Kraft der Dudaim kannte, die sie ja direkt mit der ihres Mannes identifiziert („Hast du nicht genug, daß du mir meinen Mann genommen hast, und willst auch die Dudaim meines Sohnes nehmen?”). Erweist sich somit die wunderbare Fruchtbarkeit beider Frauen als Folge des geteilten Besitzes (Genusses) der ge- heimnisvollen Dudaim i, so scheint in dieser in anderen Punkten offen- 1 Die landläufige Übersetzung des Wortes „Dudaim” mit „Veilchen” oder „Stiefmütterchen” ist nach übereinstimmender Auffassung der wissen- schaftlichen Kommentatoren falsch. Das Wort bezeichnet vielmehr Liebes- äpfel, und zwar die Atropa Mandragora oder Mandragora vernalis, eine in Palästina häufige Pflanze, die eine einschläfernde Wirkung übt, eine Art Belladonna mit gelblichen, süß duftenden Äpfeln, die nach der Volksmeinung Liehe erwecken und die Frauen fruchtbar machen. In der Wurzel erblickt die Volksphantasie die Form eines Menschen (Näheres in Guthe: Biblisches Wörterbuch, wo sich auch eine Abbildung der Pflanze findet). Nach Wetz- stein heißt diese Pflanze noch heute bei den Arabern: Diener des Liebes- genusses. S. Delitzsch: Kommentar zum Hohenliede, S. 439 f. — Wenn ein Weib die Mandragoren unter dem Herzen trägt, so wird durch die Zauberkraft jeder, der sich ihr naht, gezwungen, ihr seine Liebe und Neigung zu schenken, ja, er wird sogar in Ekstase und leidenschaftliche Verzückung versetzt. S. Ausland, 1857, Nr. 44, S. 1040ff. (Wünsche: Die Sagen vom Lebensbaum und Lebenswasser. Leipzig 1905, S. 22.) Der Genuß](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b29816531_0107.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)