Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen / von Otto Meyerhof.
- Meyerhof, Otto, 1884-1951
- Date:
- 1910
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Credit: Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen / von Otto Meyerhof. Source: Wellcome Collection.
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![279] spiele hierfür anzugeben^; es genügt, darauf hinzuweisen, daß nach Schätzung der Chronisten an neun Millionen Menschen im Mittelalter wegen Hexerei getötet wurden, d. h. wegen eines Verbrechens, das überhaupt nicht begangen werden kann. Aber wenn auch die Äußerungen des „Hexenwahns“ — dem nach SNELLs Untersuchungen zu weit überwiegendem Maße Geistesgesunde zum Opfer fielen^ — inhaltlich große Verwandt- schaft mit paranoiden Erscheinungen bieten, so ist es doch an- gesichts der völlig anderen Genese verfehlt, ihn als Verfolgungs- wahnsinn® aufzufassen oder ihn überhaupt zu den psychopatho- logischen Erscheinungen im klinischen Sinne zu rechnen. Es ist eine unzulässige Vermengung kulturhistorischer und psychia- trischer Gesichtspunkte, ein ganzes Zeitalter als geisteskrank auf- zufassen,'* * und wenn auch in einer rohen, unwissenden, von kirch- lichem Druck beherrschten Zeitepoche die Geisteskranken eine erheblichere Rolle im öffentlichen Leben spielen konnten als ‘ Im Prozeß zu Lindheim (1631—1633) waren eine Reihe von Frauen an- geklagt, ein Kind zu einer Hexensuppe verkocht zu haben; als auf Antrag eines der Ehemänner das Grab des fraglichen Kindes geöSnet wurde, fand sich darin der unversehrte Leichnam desselben. Der Richter erklärte dies aber für ein Blendwerk des Teufels, und die Hexen wurden „zu Ehren des dreieinigen Gottes“ verbrannt. (SCHLEIDEN, Zauberei und Geisterspuk, Studien, S. 348.) Oder z. B. verbrannten im Jahre 1275 die Dominikaner zu Toulouse eine gewisse Angela Herrin, die gestanden hatte, sie habe infolge allnächtiger Zusammenkünfte mit dem Teufel ein Ungeheuer mit Wolfskopf und Schlangenschwanz geboren, das sie mit gestohlenen kleinen Kindern ernährt habe. (Snell, Hexenprozeß und Geistes- störung, S. 17.) * Ebenso nach SOLDAN, „Geschichte der Hexenprozesse“. ’ Z. B. von Buchwald geschehen (nach Kirchhoff, Allg. Z. für Psych., 44, S. 338. Beziehungen des Dämonen- und Hexenwesens zur deutschen Irrenpflege). * Man vergleiche, daß z. B. noch im Jahre 1713 ein altes Weib auf ein Gutachten der juristischen Fakultät von Tübingen hin hingerichtet wurde, weil sie den Sohn eines Generals verhext hätte. Ähnliche Beispiele finden sich in Menge. (Snell S. 109.)](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b28067319_0187.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)