Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen / von Otto Meyerhof.
- Meyerhof, Otto, 1884-1951
- Date:
- 1910
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Credit: Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen / von Otto Meyerhof. Source: Wellcome Collection.
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![321] Denn das einzige, was die Zwangsidee mit der Wahnidee gemein- sam hat, ist der Umstand, daß sie vorübergehend ein Realitäts- bewußtsein hervorruft. Und dies war gerade dasjenige Moment, das mit dem assoziativen Zwang gar nichts zu tun hatte, sondern eines anderweitigen Grundes bedurfte. Von dem assoziativen Zwang selbst, in der Auslösung der Wahnidee durch irgend eine Konstellation, eine Vorstellung u. s. w. findet sich jedoch beim Wahn nichts. § Bl. Woher stammt denn nun der Wahninhalt? Damit verlassen wir FRIEDMANNs Theorie — denn sie gibt uns darauf keine Antwort — und wenden uns einer Übersicht dessen zu, was sich durch unsere eigenen psychologischen Aufstellungen hierüber au^machen läßt. Bei dem Wahn der Affektpsychosen ist diese Antwort nicht schwer. Erklärt z. B. ein Depressiver, gestohlen zu haben, sich vor seiner Hinrichtung zu fürchten u. s. w., so führt offenbar sein Affekt zum Teil durch assoziative Beeinflussung der gefühls- verwandten Vorstellungen, zum Teil durch bewußtes Ringen nach Verständnis zu den Selbstbeschuldigungen, Angstvorstellungen, Kleinheitsideen, deren Inhalt als Grund der dem Kranken sonst unverständlichen Verstimmung angesehen wird. Dabei handelt es sich gewiß zum Teil nur um „nicht zu verscheuchende Gedanken“ (PrIEDMANN), zum Teil um wirkliche unlustbetonte Erlebnisse, die durch den depressiven Affekt zur assoziativen Wiederbelebung imd enormen Steigerung ihrer Gefühlsbetonung kommen — „man sieht alles schwarz“ —; zum Teil endlich um wirkliche Wahnideen, sei es, daß in der durch Angst bewirkten Aufmerksamkeitsfesselung (Bewußtseinseinengung) schwer getrübte Urteile stattfinden, die sich mit den dominierenden Vorstellungen Meyerhof. 15](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b28067319_0229.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)