Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen / von Otto Meyerhof.
- Meyerhof, Otto, 1884-1951
- Date:
- 1910
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Credit: Beiträge zur psychologischen Theorie der Geistesstörungen / von Otto Meyerhof. Source: Wellcome Collection.
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![331] Das Verhältnis ist also dies: die Triebstörung als Elementar- phänomen lähmt die Willkür, letzteres zeigt sich von unserem Standpunkt aus als Wahn, vom Standpunkt des Wahnsinnigen als starres Festhalten an seiner gegründeten Vermutung. Der Wahnsinnige muß also seinen Wahninhalt für wahre Erkenntnis halten. Ist doch auch für den Gresunden das Selbstvertrauen in die unmittelbare Vernunftäußerung die höchste Instanz alles Füiwahi-haltens. Und eben diese Instanz selbst, die im Wahn aufgefaßten Triebe der sinnlichen Vernunft, sind in ihrer An- regung verändert. Damit wird die höchste Instanz zur Partei. Objektiv müssen wir hier sagen, daß das Gesetz des Triebes und das Gesetz des Erkennens der Vermmft auseinanderweichen: eine Zerrüttung des Geistes, die im Wahn überbrückt wird, aber eben nur durch einen faktischen Irrtum überbrückt werden kann.^ Gibt es also kein Ausweichen vom Wahn, wenn einmal eine Triebstörung gesetzt ist? Theoretisch ist das jedenfalls möglich. Wie bei der Halluzination die einzelne Täuschung mit dem Ganzen der unmittelbaren Erkenntnis verglichen werden muß und sich so berichtigen läßt, muß auch der einzelne veränderte sinnliche Trieb, mit dem Ganzen der praktischen Vernunft ver- glichen, sich als gestört heraussteilen; beim Wahn aber wird die Willkür gelähmt und diese Erkenntnis dadurch verhindert. Das Resultat des vorigen Kapitels und des jetzigen ist also dies; Die Urteilsstarrheit durch Lähmung der inneren Willkür ist ein notwendiges Merkmal des Wahns, als psychotischen Fehl- ‘ Dies ist die Dissoziiertheit der Persönlichkeit, die iSCHÜLE als Entstehungs- ursache des Wahns annimmt; ebenso Lipps, Leitfaden der Psychologie, 3. Aufl. b. 385. Insbesondere bei den Degenerierten, wo der Charakter für die Wahn- entstehung verantwortlich zu machen ist, zeigt sich mit ästhetischer Deutlichkeit, wie eine vorher stark dissoziierte Persönlichkeit sich im Wahne gleichsam kon- solidiert. (Vgl. Magnans Krankengeschichten der Entarteten.)](https://iiif.wellcomecollection.org/image/b28067319_0239.jp2/full/800%2C/0/default.jpg)