Ein Fall von Heterotopie der grauen Substanz in den beiden Hemisphären des Grosshirns / von Magnus Matell.

  • Matell, Magnus.
Date:
[1893]
    Ein Fall von Heterotopie der grauen Substanz in den beiden Hemisphären des Grosshirns. Von Magnus Matell, erster Unterarzt an der Irrenpflegeanstalt zu Lund (Schweden). (Hierzu Taf. III.) Am 12. October 1889 wurde in die psychiatrische Klinik die 25jäh- rige Louise Guttmann aufgenommen. Aus den über sie mitgetheilten Daten heben wir hervor, dass beide Eltern gesund waren und keiner von ihnen dem Trunk ergeben; hingegen leidet eine Schwester der Mutter an' epileptischen Krämpfen. Was die Patientin selbst betrifft, so erfolgte ihre Geburt ohne irgend welche Schwierigkeit. Zwei Jahre alt musste sie eine sehr schwere Krankheit durchmachen und seit dem sechsten Jahre leidet sie an Krämpfen: alle 14—30 Tage erfolgen ein bis zwei Anfälle, wobei Patientin während 10 Minuten bewusstlos wird, Schaum dringt aus dem Munde heraus und die Gliedmassen strecken sich. Bis zum neunten Jahre wurde sie im elterlichen Hause beschäf- tigt, seit der Zeit aber war sie zu keiner Arbeit mehr zu gebrauchen. Appetit und Schlaf waren stets gut, nur selten zeigte sie sich unsauber, weil sie gewöhnlich „ansagte“. Sie erhielt Unterricht zu Hause und betheiligte sich gern an dem- selben; schien mit Leichtigkeit das Lesen und Schreiben zu erlernen, verlernte aber sofort Alles wieder, weshalb der Unterricht aufgege- ben wurde. Im Status praesens werden die Durchmesser des Kopfes folgender
    Massen angegeben: Fronto-occipitaler 16,5 Ctm.; grösster Quer- durchmesser 14 Ctm.; Durchmesser der Schläfe 12 Ctm.; Umkreis 50,5 Ctm. . Stirn abgeplattet; Hirnschädel nicht gewölbt, sondern derbreiten Basis wie eine nach oben an Volumen und Umkreis abnehmende Kappe aufsitzend. Gesicht vorragend mit stark vorspringender Adlernase. Bewegungen der Augen normal, Pupillen beweglich, Augenboden scheinbar normal. Innere Organe gesund. Patientin wiegt 38 Kilo. Was ihre geistige Entwicklung betrifft, so wird bemerkt, dass sie ihr Geschlecht, aber nicht ihr Alter oder ihren Geburtstag kenne; auf die Frage nach ihrem Namen antwortet sie: „ich heisse Fräulein von Louise von Guttmann;“ sie kennt den Namen ihres Vaters, aber nicht dessen Stand. Ueber Zeit und Umgebung ist sie nicht orientirt. Einzelne Buchstaben erkennt sie wieder und ruft freudig: „das er- innere ich mir noch aus meiner Schulzeit“. Sie kann jedoch weder lesen, noch schreiben. Sie kennt das Geld, erkennt aber nicht, ob es Silber, Gold oder Nickel ist, wie sie auch nicht immer dessen Werth angeben kann. Speisen kann sie selbst und thut dies recht ordentlich; Appetit und Schlaf gut; Menses ziemlich regelmässig. Gemüthsart gewöhnlich sanft, allein oft tritt ein Umschlag ein, gewöhnlichen Zusammenhang mit den Anfällen: sie wird dann tückisch, schlägt die anderen Patienten, schreit und reibt sich die Geschlechts- theile. Sie zeigt sich froh und zufrieden, wenn der Vater sie besucht hat und spricht viel von ihren Verwandten, dass sie sie besuchen werden. Die epileptischen Anfälle erscheinen ziemlich oft und sie fühlt sich von denselben sehr angegriffen. Starb am 7. Juni 1891 in einem Status epilepticus. Bei der Section zeigten sich die Coronar- und Lambda-Nähte scharf hervortretend; letztere öffnete sich bei Druck einwärts zu einem feinen Spalt. Keine Asymmetrie des Schädels. Dura mater in der Scheitelgegend mit den Nähten stark ver- wachsen; Pia ziemlich wasserreich. An den Gefässen nichts Bemerkenswerthes. Gehirn wiegt 918 Grm. Grosshirn sehr klein, keine krankhafte Herde zeigend. Keine
    Sklerose der Aramonsliörnev, dagegen springt ein fehlerhaftes Verhal- ten der Furchen und Windungen in die Augen. Fossa Sylvii flach, deren aufsteigender Zweig bloss angedeutet. Operculum kurz, so dass die Insula nicht ganz bedeckt wird; letztere klein, nur schwach gefurcht. Fissura centralis fehlt gänzlich an der linken Hemisphäre; einige schräge, kurze und flache, durch fingerbreite Brücken getrennte Ver- tiefungen sind als Spuren einer solchen zu betrachten, lieber den ganzen Stirnlappen finden sich ähnliche längs- und querlaufende Ver- tiefungen und derselbe geht somit unmittelbar in die Centralwindun- gen und die obere Scheitelwindung über; erst die besser ausgeprägte Interparietalfurche bildet die Grenze nach hinten. An der rechten Hemisphäre findet sich zwar eine Centralfurche, aber diese ist sehr flach und erreicht nicht die obere Kante der Hemisphäre, so dass die beiden ziemlich breiten Centralwindungen auch nach oben, auf der convexen Seite, durch eine breite Brücke in einander übergehen. Der Stirnlappen zeigt daselbe Verhalten wie auf der linken Seite. Untere Fläche der beiden Stirnlappen beinahe ganz glatt, Sulc. rect. jedoch angelegt. Interparietalfurche auf beiden Seiten deutlich, obgleich wenig tief. Fissura parieto-occipitalis tief eingreifend, auf die Aussenseite der beiden Hemisphären sich weit herab erstreckend. Sie öffnet sich quer nach hinten, einen vollständigen „Affenspalt“ bildend. Furchen an dem Occipitallappen rudimentär. Am Schläfenlappen ist Sulc. temp. sup. nach vorn flach, vertieft sich aber hinter dem verticalen Zweig, welcher stark hervortritt und gut entwickelt ist. Die Furchen der zweiten Schläfenwindung schwach entwickelt und die dritte Windung nicht deutlich ausgeprägt. Sulc. calloso-marginal, findet sich zwar, ist aber in der Mitte abgebrochen; der aufsteigende Zweig sehr flach. Stirnlappen und Praecuneus bilden eine zusammenhängende Masse. Fissura calcarina gut entwickelt, ohne secundäre Gyri. Cuneus sehr klein, aber gut begrenzt. Gyrus lingual, verhältnissmässig mächtig, gut begrenzt. Gyrus Hippocamp. gut entwickelt; Uncus sehr kräftig. Hirnstamm zeigt nichts Bemerkenswerthes, wenn man von dessen Grösse oder richtiger Kleinigkeit absieht. An Frontalschnitt durch beide Hemisphären beobachtet man, dass ein grosser Theil des Markes von einer dunkelgrauen, dem Absehen nach ganz rindeähnlichen Masse eingenommen wird.